Pferdegesundheit: Hornspalten - Ursachen und Therapie
TEXT: DIPL.-ING. FLORIAN RUFF
Über Hornspalten und deren Behandlung kursieren die merkwürdigsten Ansichten. Insbesondere im Internet findet man neben lobenswerten Behandlungsansätzen leider auch sehr mittelalterlich anmutende Vorgehensweisen mit den abenteuerlichsten Beschlägen. Lehrbücher der Tiermedizin und des Hufbeschlagwesens sind mehrheitlich auf dem Stand der 1980er-Jahre oder davor, obwohl mittlerweile hervorragende neuere wissenschaftlich fundierte Untersuchungen und Erkenntnisse zu diesen Themen existieren. Auch gibt es moderne Werkstoffe für den Hufbeschlag. Kunststoffe, Klebstoffe, Fasern und Faserverbundwerkstoffe haben seit ca. 15 Jahren im Beschlagswesen Einzug gehalten. Sie bieten wesentlich elegantere Behandlungsmöglichkeiten bei Hufproblemen als Lochplatten, Schrauben und Klemmen aus Stahl. Ausgewählte Polymer-Werkstoffe kommen im Kraft-Dehnungs-Verhalten dem des Hufhornes sehr nahe.
So kann man Horndefekte wie z.B. hohle Wände oder Spalten so rekonstruieren, dass der Huf wieder die Eigenschaften eines gesunden Hufes erhält und wieder so nachwächst. Dem Huf wird praktisch vorgegaukelt, er wäre gesund. Die Natur richtet sich dann danach. Eisenplatten mit Schrauben im Huf halten aufgrund der extrem unterschiedlichen Materialeigenschaften nicht ausreichend. Die Kraftübertragung ist nur punktuell gegeben, bei Klebeverbindungen hingegen sehr großflächig. Dies soll aber keinesfalls bedeuten, dass früher alles falsch gemacht wurde. Es gab früher einfach nichts Geeigneteres. Die heutigen Behandlungsmöglichkeiten sollen als Ergänzung zur guten Hufbearbeitung angesehen werden, dem Schmied, dem Hufpfleger sowie dem behandelnden Tierarzt die Arbeit erleichtern und dem Pferd die Rekonvaleszenz verkürzen. Sehr viele Hufbearbeiter haben diese Chancen bereits erkannt.
WAS GENAU SIND HORNSPALTEN?
Hornspalten sind vertikale Trennungen im Bereich der Hornwand in Längsrichtung, parallel der Hornröhrchen, vom Kronrand in Richtung Tragrand verlaufend. Oberflächliche Hornspalten verlaufen in der Glasurschicht und nur an der Außenfläche der Röhrchenschicht (Windrisse). Weiterhin unterscheidet man nach Lage und Tiefe. Ein tiefer Riss vom Kronrand zum Tragrand ist dann der durchdringende bzw. durchlaufende Hornspalt. Einen horizontal verlaufenden Horndefekt nennt man Hornkluft. Dieser entsteht meist durch Prellungen am Kronrand und wächst unproblematisch heraus. Oft reichen die Spalten bis an das Saumband der Wachstumszone der Hornwand. Wird dieses dabei verletzt, können diese Spalten immer wieder bluten. Aber keine Panik, auch diese Spalten sind in den allermeisten Fällen behandelbar. In den allerwenigsten Fällen ist das Saumband tatsächlich stark verletzt. Dies tritt eigentlich nur bei Trittverletzungen oder dem Greifen mit Eisen oder Stollen auf. Echte Hornspalten sind immer behandlungswürdig, da sie eine Instabilität der Hornkapsel bedeuten und zu Formveränderungen des Hufes führen. Pferde mit Hornspalt haben oft Schmerzen durch Quetschung und Zerrung der sensiblen, stark innervierten Wandlederhaut, oft verbunden mit Lahmheit.
Ein weiteres Problem sind Fäulnisprozesse im Spalt, hervorgerufen durch Bakterien und Pilze, die bereits mit Spaltentstehung in Symbiose den Riss besiedeln. Im Kerbgrund der Spalten herrscht für diese Keime das ideale Milieu zur Vermehrung – warm, feucht, dunkel und ein alkalischer pHWert aus der Stalleinstreu. Diese Fäulnisprozesse führen oft zu weiteren Komplikationen, z.B. Infektionen mit Abszessbildung.
AUF EINEM SPITZEN STEIN GELANDET?
Die wenigsten echten Hornspalten kommen, wie häufig behauptet, von äußeren Verletzungen, sondern resultieren aus hohen Spannungen in der Hornkapsel. Die Erklärung „Das Pferd ist halt auf einen spitzen Stein gesprungen“ ist meist falsch. Denkbare äußere Verletzungen resultieren vom Streifen mit dem gegenüberliegenden Huf oder durch Greifen mit dem Eisen eines Hinterbeins. Ebenso denkbar sind äußere Verletzungen durch Draht oder anderes Zaunmaterial. Diese Verletzungen sind gegenüber denen der Spaltbildung durch Spannungen gut zu unterscheiden.
Ein Großteil aller Spalten findet sich an den Vorderhufen an zwei bestimmten Stellen: 1. der Zehenwand-Mitte, 2. seitlich kurz hinter der weitesten Stelle des Hufes innen oder au- ßen. Dies hat seine Gründe: Wie bereits gesagt, sind Hornspalten fast immer auf unphysiologische Spannungen in der Hornkapsel zurückzuführen. Die Hufwand reißt dann an der Stelle der höchsten Spannung ein, ähnlich eines Drahtes, der zigmal an derselben Stelle hin und her gebogen wird – letztendlich einfach durch Materialermüdung.
WOHER KOMMEN DIESE ZERSTÖRERISCHEN SPANNUNGEN?
Nach den jahrelangen Diskussionen über Vorteile und Nachteile von Hufeisen oder Barhuf sollte mittlerweile jedem Interessierten der Begriff des Hufmechanismus bekannt sein. Das normale ausgewachsene, mittelschwere Warmblutpferd wiegt im Schnitt 500 kg. Diese Last muss von vier Hufen getragen werden. Im Trab sind es nur noch zwei Hufe, die gleichzeitig belastet werden. Die Kräfte und somit auch die Spannungen im Huf erhöhen sich dann noch durch die Geschwindigkeit in der Bewegung um ein Vielfaches. Die höchsten Spannungen sind bei der Landung nach einem Hindernis sowie bei schnellem Galopp auf hartem Boden zu erwarten: Bis zum Sechsfachen des eigenen Körpergewichtes auf einem Huf. In Zahlen: Über 30.000 N. (Dr. vet. Christine Hinterhofer, 1997, Universität Wien). Also kurzzeitig 3 Tonnen auf einem Huf. Ein unebener Boden und das Gewicht des Reiters erhöhen die verformenden Kräfte. All diese Kräfte, im Stand oder im Galopp, erzeugen beim gesunden, korrekt geformten Huf, ob beschlagen oder barhufig, den normalen Hufmechanismus. Der Huf dehnt sich bei Last und kehrt bei Entlastung wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Durch diese elastischen Verformungen des Hufes werden die Spannungsspitzen unter den Wert einer Hornschädigung abgebaut. Wird die Fähigkeit des Hufes, sich auszudehnen, behindert oder partiell vermindert, treten Spannungen auf, die Risse im Horn erzeugen können.
IST DER BESCHLAG SCHULD?
Tatsache ist, dass die meisten Hornspalten an beschlagenen Vorderhufen zu finden sind, und deutlich seltener bei barhufigen Pferden. Nun wäre es zu einfach und ungerecht, dem Schmied die Schuld zu geben. Vielmehr führt oft eine Kombination vieler Gegebenheiten zur Spaltbildung. Das fängt bei der genetischen Veranlagung von Hufform, Stellung und Hornqualität an, führt über nachlässige Korrekturtermine im Fohlenalter weiter über Umwelt- und Haltungsbedingungen bis hin zum Fressverhalten des Pferdes. Die jetzige Hufform und -funktion ist somit ein Produkt seiner Genetik, der Lastfälle und Umweltbedingungen. Der Schmied hat hier die Aufgabe, soweit wie möglich korrigierend zu arbeiten.
HUF MIT HORNSPALT
Zuerst im Überblick die Erklärung zu einigen Abweichungen von der idealen Hufform, die einzeln oder in Kombination mit zuvor beschriebenen Faktoren zu Spalten führen können. Hufe mit langen Zehen und niedrigen Trachten erzeugen einen extrem hohen „Abrollwiderstand“ beim Abfußen und dadurch auch eine starke elastische Verformung der Zehenwand, insbesondere am Kronrand. Weiterhin rutscht der Einfallspunkt der Last nach hinten in Richtung der Trachten. Dadurch werden die Trachten hoch belastet und gequetscht – man spricht von untergeschobenen, eingerollten Trachten. Der Röhrchenverlauf in der Hornwand zwischen Zehenwand und Trachten ist dann nicht mehr parallel. Das Resultat sind oft Spalten in der Seitenwand, die von oben nach unten reißen. Erschwerend kommt häufig noch ein Trachtenzwang mit engstehenden Hufballen hinzu. Die tragende Hufwand wird vom Saumband am Kronrand gebildet und soll in gerader Form Richtung Tragrand wachsen. Druckkräfte vom Auffußen können nur in geraden Wänden vollständig weitergeleitet werden. Jede Verbiegung der Wand nach außen (trompetenförmig) bedeutet, dass die Last des Pferdegewichts nicht mehr in gerader Linie bis zum Kronrand geleitet wird. Durch die krummen Wände treten Biegespannungen auf, die die Hufwand nach außen hebeln. Die dadurch entstehenden Spalten reißen radial verteilt von unten, meist bis in die Mitte der Hufwand, also bis zum Knick in der Wand, und wachsen zum Teil wieder raus, um erneut einzureißen. Bis die Hornwand vom Schmied oder Hufpfleger deutlich gestreckt, also gerade gerichtet und dadurch belastbarer wird. Dies kann aber einige Beschlagsperioden dauern, da die Korrektur schrittweise vorgenommen werden muss.
HUFE MIT UNGLEICHER WANDLÄNGE UND EINSEITIGEM AUFFUSSEN
Auch in diesem Fall entstehen oft Seitenwandspalten. Durch das einseitige Auffußen (Kippen) wird der Huf bei jedem Belastungszyklus völlig asymmetrisch belastet. Der Huf fußt außen zuerst und kippt dann auf die innere Wand. Die innere steile Wand ist überlastet und reißt.
In diesem Fall ist der Hufmechanismus behindert. Die flache äußere Wand kann sich im Sinne des Hufmechanismus dehnen. Die innere Wand steht senkrecht unbeweglich auf dem Eisen/Boden und kippt unter Last im Kronbereich nach außen. Die entstandenen Scherkräfte können zur Spaltbildung führen. Solche Spalten reißen dann immer von oben nach unten.
BEHANDLUNG VON HORNSPALTEN
Grundsätzlich kann ein Hornspalt nur von oben nach unten rauswachsen. Eine Heilung von innen her ist anatomisch (wie auch beim Fingernagel) nicht möglich.
Darum benötigen Hornspalten, die ihren Ursprung am Kronrand haben, nahezu ein Jahr bis zum vollständigen Rauswachsen. Vorausgesetzt, es reißt nichts neu ein. Am Anfang muss der Hufbearbeiter, ob Hufschmied oder Hufpfleger, erkennen, welche Problematik vorliegt, und bei der Hufzubereitung dafür sorgen, dass die Spannungen im Huf weniger, also „normalisiert“ werden. Dies erreicht man im Allgemeinen durch Annäherung an eine regelmäßige, symmetrische Hufform mit normalen Wandwinkeln und planem Auffußen. In den meisten Fällen ist das über mehrere Beschlagintervalle zu erreichen. Nur selten führt eine einmalige Hufkorrektur gleich zum vollständigen Erfolg. Oftmals sind orthopädische Beschläge mit Platten, Silikoneinlagen oder Eiereisen bzw. Eisen mit Steg erforderlich, um die Last am Huf gleichmäßig zu verteilen. Die geschädigte Wand muss entlastet und die Hufsohle zum Tragen mit herangezogen werden. Grundsätzlich funktioniert das auch barhufig. Dies beinhaltet aber immer die Gefahr von starken vertikalen Hufdeformationen bei unebenem Boden. Das Risiko eines erneuten Einreißens ist so recht hoch. Und Ziel der Behandlung ist ja, die Spannungen zu minimieren. Normalerweise ist ein Metall-Beschlag sinnvoll, denn er verteilt die Last auf alle Wandabschnitte. Reine Kunststoffbeschläge können das nicht. Gut ist auch ein achsenweise gleicher Beschlag.
Unsere mittlerweile fast 30 Jahre lange Erfahrung in der Behandlung von Hornspalten präsentieren wir Ihnen in zwei Fallbeispielen. Mit dieser Behandlungsmethode in Verbindung mit dem für den Fall optimierten Hufbeschlag sind nahezu alle Fälle gut geworden, egal ob internationales Sportpferd, Pony oder Freizeitpferd.
Bei diesem komplexen Thema gibt es selbstverständlich auch andere Wege zur Besserung oder Ausheilung. Wie auch im humanen Bereich gilt: Wer heilt, hat recht.
Der Vorteil des Rekonstuierens eines Hufes mittels Kunststoffklebstoffen und Verstärkungsfasern liegt auf der Hand: Die Kräfte werden großflächig übertragen und der Huf funktioniert wie ein gesunder Huf. Das Pferd kann in der Heilungsphase in den meisten Fällen normal belastet werden.
Grundsätzlich versuchen wir, bei den Korrekturbeschlägen mit 1 Zehenkappe auszukommen. Oft ist aber ein starkes Zurücksetzen des Eisens zur Verlagerung des Abrollpunktes nach hinten dringend erforderlich und für den Behandlungserfolg mit ausschlaggebend.
Fotos: © StudioLaMagica – Adobe, © F. Ruff