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Kinderzimmer: Der Buntspecht

oder:Warum ich Kopfschmerzen hätte, wenn ich dauernd mit der Nase an den Baum klopfen würde

Ein schnelles und lautes Hämmern durchdringt die Stille im Garten: Tok-Tok-Tok-Tok. „Was ist denn hier so laut?“, ruft Pauline ihrem Bruder Georg zu, der gerade im Garten an seinem Baumhausweiterbaut. „KeineAhnung“, antwortet Georg, den seine Freunde Schorsch nennen. „Ich bin es nicht. Ich knote gerade ein Seil an den dicken Ast dort, damit ich mein Haus jederzeit erreichen kann. Alles andere ist schon fertig.“

Pauline lässt ihren Blick schweifen und versucht herauszufinden, aus welcher Richtung nun das Trommeln kommt. „Schau mal, Schorsch“, sagt sie nach einerWeile, „ich glaube, ich habe etwas entdeckt. Da ist ein Vogel am morschen Stamm unserer alten Fichte, die dem letzten Sturm zum Opfer gefallen ist. Und der klopft mit seinem Schnabel total schnell auf das tote Holz.Warummacht er das?“ „Lass uns mal ins Haus gehen und Papa fragen, der weiß doch immer so gut Bescheid, wenn es um all die Tiere in unserem Garten geht“, schlägt Schorsch vor. Aufgeregt stürmen die Geschwister ins Haus, wo ihr Vater gemütlich in einem Roman schmökert. „Papa, da ist einVogel an der Fichte, derwiewild auf den Stamm trommelt. Warum macht der das?“, unterbrechen Pauline und Schorsch Papas Lektüre. „Das könnte ein Specht sein“, antwortet Papa und steht auf. „Lasst uns nachsehen.“
Gemeinsam gehen die drei zurück in den Garten, wo nun auch der Vater das charakteristische Klopfen hört. Pauline deutet mit dem Finger zum morschen Baum. „Kannst du sehen, was das für ein Vogel ist?“ „Der sitzt ziemlich weit oben. Meine Augen sind trotz derBrille nicht gut genug, umdasvonWeitem zu erkennen“, antwortet Papa und schlägt Pauline vor, das Fernglas aus dem Schrank imWohnzimmer zu holen. In der Zwischenzeit testet ermit Schorsch, ob das Seil zu seinem Baumhaus stabil genug ist, damit sie alle drei sich dort oben auf die Plattform im Apfelbaum setzen können, denn bestimmt haben sie von hier aus den besten Blick auf den noch unbekannten Gartenbewohner.
Als Paulinemit demFeldstecherwieder in denGarten gelaufen kommt, hängt sich ihr Vater diesen um den Hals und lässt erst einmal seinen Nachwuchs das Baumhaus erklimmen, bevor auch er auf die stabile Plattform klettert. Mit dem Fernglas beobachtet er den Trommler ganz genau.

„Dasist ein Buntspecht, der sich da an unserer Fichte zu schaffen macht“, eröffnet Papa den beiden. „Seht ihr den weißen Bauch, das schwarze Gefieder an der Oberseite und die roten Flecken am Unterschwanz?“ Er reicht den Kindern das Fernglas. „Und da im Genick ist ein roter Fleck“, ruft Pauline begeistert, die nun durch das Binokel schaut, wie Opa zum Feldstecher manchmal scherzhaft sagt. „Aber warum trommelt der so wild auf dem Stamm herum?“, möchte Schorsch wissen, während er ungeduldig wartet, dass auch er endlich einen deutlichen Blick auf den Specht werfen darf. „Buntspechte trommeln auf hohle Äste oder Stämme, um in der Balzzeit einer hübschen Vogeldame den Hof zu machen. Sie schaffen tatsächlich 10 – 15 Schläge innerhalb von 2 Sekunden, um demWeibchen zu imponieren, und gleichzeitig grenzen sie durch das Hämmern ihr Revier ab“, erklärt Papa, der ein begeisterter Hobby-Ornithologe, wie Vogelkundler genannt werden, ist.
„Und wenn er dann ein Weibchen gefunden hat, bauen sie sich ein Nest in den Ästen?“, erkundigt sich Schorsch, während er endlich den gefiederten Gesellen beobachtet, nachdem seine Schwester Pauline ihm den Feldstecher weitergegeben hat.
„Nein“, antwortet Papa, „Spechte zimmern sichmit ihrem spitzen Schnabel in so einem morschen Baum eine Bruthöhle. Ob unser Specht mit seinemWeibchen hier in der Fichte brüten wird, wissen wir erst, wenn die beiden wirklich hier einziehen, denn normalerweise zimmern diese Schlagzeuger mehrere Bruthöhlen, bevor sie sich für eine entscheiden und diese dann als ihr Zuhause auswählen.“
„Ich frage mich ja, wie der Specht das aushält, die ganze Zeit mit dem Schnabel auf diesen Baum zu schlagen. Wenn ich das in dem Tempo mit meiner Nase so lange machen würde, hätte ich entweder Nasenbluten oder mindestens ziemlich Kopfschmerzen“, denkt Pauline laut nach. „Vielleicht hat der ja einen Gummikopf“,wirft Schorsch lachend ein. „Die Natur istwirklich faszinierend.Wusstet Ihr, dass Spechte ein sehr kleines Gehirn haben, damit eben, anders als bei Menschen, dieses keine Schäden davonträgt bei demwilden Hämmern? Würden wir Menschen mit der gleichen Kraft mit dem Kopf gegen einen Baum schlagen, hätten wir rasch eine Gehirnerschütterung“, erklärt Papa seinen Sprösslingen begeistert. „Früher dachten die Forscher, dass der Aufbau des Schädels beim Specht so ist, dass er die Stöße abfedert und das Gehirn auf dieseWeise schützt, doch daswurde in der Zwischenzeit von einem Biologen der belgischen Universität Antwerpen widerlegt. Gäbe es irgendwelche stoßdämpfenden Bereiche, müsste der Specht noch viel stärker hämmern, um seine Arbeit erfolgreich zu bewerkstelligen, da ja ein Stoßdämpfer auch dazu führen würde, dass die Wirkung seines Klopfens schwächer wäre. Weil aber das kleine Gehirn im Kopf des Spechtes viel weniger herumgeschleudert wird, bleibt der Vogel trotz der starken Schläge unverletzt.“

Schorsch und Pauline lauschen den Erklärungen ihres Vaters mit großenAugen. Es fasziniert sie immerwieder, wie viel Papa über Vögel weiß, und mit seiner Begeisterung für alle Piepmätze im heimischen Garten steckt er die Geschwister jedes Mal aufs Neue an.
„Was frisst so ein Specht eigentlich?“, möchte Paulinewissen, als Papa kurz Luft holt.
„Diemeiste Zeit des Jahres ernährt sich der Specht von Insekten und Larven“, antwortet Papa. „Auch hier leistet ihm sein Schnabel gute Dienste, denn mit seinen kräftigen Hieben kann unser Freund diese unter der Rinde hervorholen. Wenn dann die Jahreszeit kommt, wo esweniger Insekten gibt, dienen ihm Nüsse, Beeren und Samen als Nahrung.“
„Aber diese muss er doch irgendwie knacken“, überlegt Schorsch, während er sich den Specht vorstellt, wie dieser eineWalnuss im Schnabel zu öffnen versucht. „Das ist doch sicher gar nicht so einfach, oder?“ Auch hier hat Papa natürlich sofort eine Antwort parat. „Wenn er aus Zapfen die Samen picken möchte, macht er sich ein Loch in einen Ast, klemmt den Zapfen darin fest und kann dann ganz entspannt futtern. Auch Nüsse können sie dort fixieren und diese dann mit dem Schnabel aufhacken.“
„Irre, aufwas für kluge Lösungen Tiere kommen“, staunt Pauline. „Sie wissen sich auch ohne Hände zu helfen.“
„Hoffentlich entscheidet sich unser neuer Freund dafür, in unserer Fichte zu brüten, dann könnten wir die Vogelfamilie auch bei der Brut und Aufzucht beobachten“, wünscht sich Schorsch, und Pauline und Papa nicken zustimmend.
Nach so viel Vogelbeobachtung im gemütlichen Baumhaus sind die drei jetzt richtig durstig und freuen sich, dass Mama in der Zwischenzeit ein Tablett mit Apfelschorle und Gläsern auf den Gartentisch gestellt hat.
Während sie gemeinsam eine Brotzeit machen, denn Mama hat auch noch leckeres Obst für alle geschnippelt, erzählen sie ihrer Mutter von ihrem neuen Mitbewohner und was sie von Papa alles über den Buntspecht erfahren haben.
Habt Ihr schon einmal einen Buntspecht in Eurem Garten, im Wald oder im Park gehört? Ansonsten könnt Ihr ja mal Eure Augen und Ohren offenhalten. Vielleicht begegnet Euch ja schon bald auch so ein musikalischer Geselle bei einem Eurer Streifzüge durch die Natur!