Skip to main content

Bindung und Beziehung zwischen Mensch und Hund

„Hat mein Hund eine gute Bindung zu mir?“, ist eine der meistgestellten Fragen, wenn sich ein Team in der Hundeschule vorstellt. Nun, eine „gute“ Bindung gibt es im Fachjargon nicht. Man spricht von einer sicheren, einer unsicher-vermeidenden, einer unsicher-ambivalenten oder einer desorganisiertdesorientierten Bindung. Unser aller Ziel ist selbstredend eine sichere Bindung. John Bowlby und Mary Ainsworth haben in Testreihen an Kindern im Alter zwischen 11 und 18 Monaten untersucht, wie sie sich bei An- und Abwesenheit sowie bei der Rückkehr ihrer Bezugsperson verhalten. Sind die Kleinen sicher gebunden, ist das Verhältnis von Nähe und Distanz zu ihrem Bindungspartner ausgewogen. Eine sichere Bindung bietet eine stabile, ermutigende Basis für eigene Erkundungen sowie einen verlässlichen Hafen, der Schutz, Beruhigung und Unterstützung gewährleistet. Eltern stehen ihrem Nachwuchs in Angst- und Stresssituationen als verlässlicher Rückhalt zur Seite.

SICHER GEBUNDENE HUNDE

Im Allgemeinen lassen sich sicher gebundene Hunde folgendermaßen beschreiben: Sie sind in der Lage, zeitweise stressfrei allein zu bleiben, sie verhalten sich in Kontakten zu Artgenossen entspannt und souverän, sie sind selbstwirksam, offen und ausgeglichen, sie lassen sich auf Aktivitäten mit Drittpersonen ein. Sie reagieren angemessen auf Situationen und verfügen über einen Pool an verschiedenen Verhaltensstrategien.

UNSICHER-VERMEIDENDE BINDUNG UND UNSICHER-AMBIVALENTE BINDUNG

Die unsicher-vermeidende Bindung unterhält zwar eine intakte Basis, allerdings mangelt es an einem verlässlichen Hafen in Form eines Sicherheit bietenden Rückzugsortes. Demgegenüber ist bei der unsicher-ambivalenten Bindung die Basis instabil. Beistand wird nur vereinzelt gewährt, und die Ungewissheit, wann und ob die Bezugsperson verlässlich verfügbar ist, generiert Trennungsängste. Die zu betreuenden Individuen klammern und zeigen wenig Explorationsdrang, auch das Neugier- und Erkundungsverhalten ist eingeschränkt. Der Hafen als sicheres Nest bleibt jedoch bestehen.

DESORGANISIERTE BINDUNG

Die desorganisierte Bindung bietet weder eine tragfähige Basis für eigene Erkundungen noch einen sicheren Hafen als vertrauenswürdigen Zufluchtsort und ist somit tierschutzrelevant.

BINDUNGSQUALITÄT

Wie es um die Bindungsqualität bestellt ist, zeigt die Antwort auf einen Stressor. Dass ein Knall ein Tier veranlasst zu flüchten, ist nicht das entscheidende Kriterium für die Qualität einer Bindung. Interessant ist, wie der Hund nach Überwindung der Panik reagiert. Das kann je nach Typ und Rasse des Tieres recht unterschiedlich ausfallen: Bei einem sicher gebundenen Whippet z.B. erwarten wir, dass er umdreht und so rasch wie möglich den Weg zu seiner Bezugsperson unter die Pfötchen nimmt. Ein Beagle hingegen schüttelt sich den Schreck erst einmal ordentlich von der Pelle und inhaliert dann genüsslich eine warme Brise Frühlingsluft, bevor er sich, berauscht von den 1.000 Möglichkeiten, die sich vor seinen Stampferchen auftun, in ein unbestimmtes Abenteuer tragen lässt. Trudelt dieser Beagle drei Tage später wieder in seinem Zuhause ein, kann das durchaus für eine sichere Bindung sprechen.

BINDUNGSVERHALTEN

Von Bindungsverhalten spricht man bei Babys oder Jungtieren (beim Menschen z.B. bis ca. zum 18. Lebensmonat). Es ist genetisch verankert und kann – salopp gesprochen – als Überlebensmuster verstanden werden, dessen Qualität (Bindungsqualität) in einer Problemsituation zum Vorschein kommt. Das Bindungsverhalten ist bei objektiv oder subjektiv erlebter Gefahr sowie bei Müdigkeit oder einer Erkrankung aktiviert, auch wenn die Bezugsperson nicht in der Nä- he ist. Bindungspersonen sind Leitfiguren, mit denen der intensivste Kontakt in den ersten Lebensmonaten bzw. Lebenswochen stattgefunden hat. Ein idealer Bindungspartner vermittelt Ruhe, Sicherheit, soziale Ausgeglichenheit, Verfügbarkeit, Feinfühligkeit und emotionale Verbundenheit. Eine angeborene Präferenz für einen Bindungspartner existiert nicht. Dass ein Sozialpartner durch Prägung festgelegt wird, ist uns spätestens seit dem prominenten Beispiel von Konrad Lorenz und seinen Enten bekannt. Genießt ein Welpe vom ersten Tag an menschliche Zuwendung und Fürsorge, nimmt der Mensch den Platz als Sozialpartner dieses Hundes ein. Das ist einer von vielen möglichen Gründen, weshalb sich ein Hund nicht unbedingt überschlagen muss vor Begeisterung für andere Hunde – und nicht alle Hunde wollen mit ihresgleichen spielen – aber das ist eine andere Geschichte. Anders verhält es sich bei Straßenhunden, die nicht auf Menschen geprägt sind. Einer meiner Dozenten formulierte es folgendermaßen: „Solche Tiere als Einzelhunde unter Menschen zu halten, ist Tierquälerei.“
Natürlich bringt auch ein Hundehalter aufgrund seiner Biografie eine Bindungseinstellung in die Beziehung mit ein, die autonom, distanziert-abweisend oder verstrickt sein kann – ein sehr komplexes Gebiet. Zwischen einem Hund und seinem Halter interagieren außer den Bindungs- und Fürsorgemustern noch weitere Parameter, z.B. die Ontogenese, der Erziehungsstil, Lernformen, die Kommunikation und das Rollenverständnis. All das zusammen nennt sich dann Beziehung.

ERZIEHUNGSVERHALTEN

Die Entscheidung, einen Hund in unser Leben zu lassen, konfrontiert uns mit der Verpflichtung, als soziales Vorbild mit Führungsverantwortung zu handeln. Führung verlangt soziale Kompetenzen wie Empathie, eine verbindliche innere Haltung, Fachwissen sowie die Bereitschaft, dazuzulernen. Gerade der Wille zu lernen und sich fortzubilden, scheint mir jedoch beunruhigend zu kranken, suhlen sich doch viele Erziehungsmethoden noch im behavioristischen Gedankengut des letzten Jahrhunderts. Gefordert ist außerdem Mut zur Selbstreflexion, was bedeuten kann, eigene Bindungsmuster zu hinterfragen. Das ist sinnvoll, um leidvolle Erfahrungen nicht unbewusst weiterzugeben, spiegelt sich doch unsere eigene Bindungsgeschichte in unserem Erziehungsverhalten.
In puncto Erziehung drängt sich die bewusste Entscheidung auf, welcher Erziehungsform wir unser Vertrauen schenken wollen. Erziehung, die über den Weg des sozialen Lernens erfolgt, ist für sozial lebende Caniden die logische (weil bio-logische) Form des Lernens. Soziale Interaktionen beantworten wir natürlicher- und sinnvollerweise mit sozialem Verhalten (Kommunikation, Einflussnahme etc.) statt mit einem Blechfrosch. Das mechanische Geräusch, das identisch reproduzierbar ist, soll emotionale Schwankungen ausschließen, da Emotionen den Konditionierungsprozess stören. Verstehen wir unseren Hund jedoch als Sozialpartner, lassen sich Emotionen nicht ausklammern, denn sie sind sowohl Ausdruck als auch Zeugnis einer Beziehung. Kritisch zu hinterfragen ist ebenfalls die Betätigung als Bonbon-Onkel bzw. die Lenkung mittels Goodies. Futterbelohnung impliziert, dass wir dem Hund nicht trauen, ob er auch ohne Leckerli mitmacht. Wenn Sie glauben, dass Ihr Hund nicht von sich aus mit Ihnen kooperiert, sollten Sie sich fragen, was Sie getan haben, um ihn zu demotivieren. Führen ist mehr als das Jonglieren mit Verführungstaktiken. Der Managementexperte Dr. Reinhard K. Sprenger bezeichnet in seinem Buch „Mythos Motivation – Wege aus einer Sackgasse“ die Bestechungsmentalität als Stützverband für eine innere Fehlhaltung. Sein Beispiel veranschaulicht, was damit gemeint ist: „Diese Führungskräfte gleichen dabei in ihrem Verhalten abgewiesenen Liebhabern, die darüber nachdenken, wie sie die begehrte Frau zurückerobern können, nicht, warum sie ging.“ Die Voraussetzung, um als Team gemeinsam erfolgreich unterwegs zu sein, ist Begeisterung. Wenn ein Hund als Persönlichkeit (nicht als Dienstleister) Anerkennung findet und seine Talente in einem geschützten Rahmen (Grenzen und Regeln) leben und perfektionieren darf, wenn seine ureigene Natur ernst genommen und die an ihn gestellten Aufgaben sinnstiftend sind, investiert ein Hund auch ohne „Bezahlung“ in eine Beziehung. Hunde sind sehr soziale Beutegreifer – navigieren wir also nicht unter dem Niveau des sozialen Lernens. Ist die Erziehung auch nur eines von vielen Zahnrädchen im Komplex „Bindung und Beziehung“, so ist es mit Bestimmtheit eines der wichtigsten. Als Leader schulden wir unseren Hunden Sicherheit, Verlässlichkeit, Verfügbarkeit, Empathie, Klarheit, Sinnhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, Hingabe und Respekt. Führung ist eine anspruchsvolle Aufgabe, und nur wenigen sind Führungsqualitäten in die Wiege gelegt. Solche kann man sich jedoch aneignen. Ein mitunter unbequemer Weg, gewiss, er beschenkt aber nicht nur unsere Fellnasen, sondern auch uns selbst. Gemeinsam mit einem Hund zu wachsen, ist ein erfüllender Prozess, der uns dabei unterstützt, unsere Kraft und unser Potenzial zu leben. Diesen Weg zu beschreiten, möchte ich Ihnen Mut machen.

VERANTWORTUNG

Ist es nicht die Bequemlichkeit, so ist es oft die Verantwortung, die uns davon abhält, eine Herausforderung anzunehmen. Verantwortung ist ein Wert, der sich in unserer Gesellschaft in Agonie windet. Eine Kultur der Fehlervermeidung oder -leugnung, Scham und Schuldgefühle torpedieren die Verantwortung und rauben uns Energie. Schade, denn es ist die Verantwortung, die den Weg bahnt, der durch eine Problemsituation hindurchführt. Versagensängste, Schuldzuweisungen und Fehlervermeidungstaktiken hingegen verschwenden Zeit, drücken uns nieder und sorgen dafür, dass wir Herausforderungen hilflos gegenüberstehen. Sie schnüren unseren Lebensraum eng und enger. Schuld ist man für das, was man mit böswilliger Absicht tut, alles andere ist Leben.
Verantwortung basiert auf Vertrauen, Stärke und den eigenen Werten. Verantwortlich zu sein bedeutet nicht, dass wir keine Fehler machen dürfen. Verantwortung zu schultern heißt, dass ich im Einklang mit meinen Werten, mit einem Fundus an Wissen nach bestem Gewissen und als emotional Erwachsener handle und darauf vertraue, das Bestmögliche für mein Rudel zu tun. Stärke zu zeigen heißt, zu den getroffenen Entscheidungen zu stehen (Konsequenzen tragen), Krisen zu managen und Hindernisse zu bewältigen. Sich dem Leben zu stellen erfordert Courage, weil hier und da Gegenwind aufkommt. Dem müssen Sie standhalten. Doch gerade unter den Hundehaltern erlebe ich viele bedürftige und emotional verwundete Menschen, die sich an der vorurteilsfreien Zuwendung ihres Tieres trösten. Es ist in Ordnung, wenn uns die Gesellschaft eines Tieres wohl tut, solange nicht aushungernder Vampirismus den Begleiter instrumentalisiert. Die Bereitschaft, eigenverantwortlich an sich und seinen biografischen Verletzungen zu arbeiten, bleibt gefordert. Unsere Befindlichkeit erteilt uns keine Absolution für nachlässige Führung. Nur wer sich selbst aufrichtet und den Stürmen des Lebens tapfer die Stirn bietet, vermag seinem Hund ein konstruktives Vorbild und ein verlässlicher Rudelführer zu sein.
„Gut für sich und andere zu sorgen, und einen Plan, eine Strategie und etwas Erfahrung zu haben, zeugt von mehr Kompetenz als Kontrolle, Unterordnung und Kleinhalten.“ (Zitat Robert Mehl) Leadership ist lernbar, und die gute Nachricht ist, dass Sie das alles nicht allein bewältigen müssen: Hundehalter finden verschiedene Angebote an Hilfestellungen, um ihre Führungskompetenzen zu entfalten.

BÉATRICE HINDER
TIERHEILPRAKTIKERIN

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Ernährungsberatung, Hundeerziehung, Führungskompetenzen-Coaching für Hundehalter, Buchautorin

KONTAKT
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Grafik:  © Hinder - Bureau Chateau,  Foto © M. Jucha – Adobe