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Miasmen in der Homöopathie: Serie – Teil 1

201703 Miasmen1„Behandeln Sie miasmatisch oder sind Sie ein ‚gewöhnlicher‘ Homöopath?“ Zugegeben, das ist eine  etwas provokante Formulierung, aber sie trifft den Kern einer seit Jahren aktuellen Thematik. Sowohl  im Bereich der Human- als auch der Veterinärhomöopathie nehmen die Publikationen zum Thema  Miasmatik laufend zu, und in Fachkreisen werden zum Teil sehr heftige Diskussionen über die Bedeutung miasmatischer Überlegungen im Zuge homöopathischer Verordnungen geführt. Die Bandbreite der Meinungen reicht von „total unwichtig für eine gute Verordnung“ bis zu „ohne Miasmatik  kann man nicht homöopathisch behandeln“.
Studenten  der Veterinärhomöopathie  sind  mit  diesen  gegensätzlichen  Meinungen  konfrontiert und verständlicherweise verwirrt: Worauf soll der Fokus in der Ausbildung  gelegt werden? Arzneimittelbilder? Repertorisation? Fallmanagement? Potenzen-  und Gabenlehre? Miasmatik? Wie wichtig sind Miasmen für die Therapie akuter oder chronischer Erkrankungen? Und allen Fragen vorangestellt: „Was ist  das überhaupt: Miasma?“
Viele Fragen zu einem wichtigen Thema, deren Beantwortung wir uns in dieser und Folgeausgaben von „Mein Tierheilpraktiker“ widmen wollen, denn  hiermit starten wir eine mehrteilige Serie zum Thema „Miasmatik in der Homöopathie“. Im ersten Teil stellen wir Ihnen die Grundzüge des Konzeptes  vor, die Hintergründe seiner Entstehung und geben einen kurzen Überblick  über die Grundmiasmen, die bereits Samuel Hahnemann definiert hat. Die  nächsten Ausgaben werden dann jeweils eines der Misamen detailliert behandeln, und zum Abschluss gibt es einen Rundumblick über die derzeit  bestehende Vielzahl an Miasmenkonzepten.

Was ist ein Miasma?

Das Wort Miasma kommt aus dem Griechischen. Unabhängig davon, welches Lexikon man nutzt – die Erklärungen sind einander sehr ähnlich: Miasma ist eine übelriechende Ausdünstung. Das Wort wurde für krankmachende Stoffe verwendet, die in der Luft vorhanden sind und Erkrankungen auslösen können. Pesthauch, Gifthauch, Befleckung sind weitere Definitionen. Hippokrates (460 – 375 v. Chr.) hat als erstes diesen Begriff geprägt, um das Phänomen zu beschreiben, dass es eine Form von Ansteckung gibt, bei der kein Körperkontakt zwischen dem bereits Erkrankten und dem – noch – Gesunden besteht. Das Konzept von Bakterien und Viren war zu dieser Zeit und während vieler weiterer Jahrhunderte noch unbekannt.

Ansteckung konnte nach dem damaligen Verständnis auf zwei Arten erfolgen: miasmatisch (durch die Luft) oder kontagiös (von Mensch zu Mensch).

Hahnemanns Miasmenverständnis

Samuel Hahnemann (1755 – 1843), der Begründer der Homöopathie, kannte natürlich all diese Theorien und bezog sie in die Entwicklung seiner Heilmethode ein. Mit großem Erfolg behandelte er viele akute Erkrankungen ausschließlich mittels Einsatz homöopathischer Arzneien. Er verordnete nach dem Ähnlichkeitsprinzip und therapierte auch schwere Pathologien wie Syphilis. Er war überzeugt von der Überlegenheit der Homöopathie im Vergleich zur herkömmlichen konventionellen Medizin:

„Bisher erwies überall die treu befolgte homöopathische Heilkunst, wie sie in meinen und meiner Schüler Schriften gelehrt worden war, ihren natürlichen Vorzug vor jedem allöpathischen Verfahren, bei allen die Menschen nicht nur schnell befallenden (akuten) Krankheiten, sondern auch bei den epidemischen Seuchen und sporadischen Fiebern sehr entschieden und auffallend.“
(Zitat S. Hahnemann)

Hahnemann ist bekannt dafür, dass er sehr genaue Aufzeichnungen über die Heilungsverläufe seiner Patienten führte. Seine Krankenjournale umfassen Tausende von Seiten. Daher war es für ihn relativ bald ersichtlich, dass es ihm zwar immer wieder gelang, akute Beschwerden zu beseitigen, dass aber dieselben Patienten immer wieder kamen – entweder mit genau denselben Krankheitsbildern oder mit neuen Beschwerden. Viele seiner Patienten wurden einfach nicht ganz gesund. Das stand aber in großem Widerspruch zu einem der Leitsätze der Homöopathie, die Samuel Hahnemann in allen Auflagen des Organon ganz vorne niedergeschrieben hatte:

„Des Arztes höchster und einziger Beruf ist, kranke Menschen gesund zu machen, was man heilen nennt.“ (§ 1 Organon 6)
„Das höchste Ideal der Heilung ist schnelle, sanfte, dauerhafte Wiederherstellung der Gesundheit, oder Hebung und Vernichtung der Krankheit in ihrem ganzen Umfange auf dem kürzesten, zuverlässigsten, unnachtheiligsten Wege, nach deutlich einzusehenden Gründen.“ (§ 2 Organon 6)

Auch wenn Hahnemann die bestmöglichen homöopathischen Mittel verordnete, konnte er den Patienten häufig nur in einen relativen Gesundheitszustand versetzen, nicht dauerhaft heilen, häufig kam es zu Rückfällen. Und was noch schlimmer war: Das ursprünglich gut gewählte homöopathische Mittel wirkte bei wiederholter Anwendung nicht mehr so gut wie am Beginn der Therapie.

Hahnemann war ein sehr zielstrebiger Arzt und forschte daher jahrelang weiter – sein Anspruch war es, alle Krankheiten mittels Homöopathie gänzlich heilen zu können.

„Den Grund also auszufinden, warum alle die von der Homöopathie gekannten Arzneien keine wahre Heilung in gedachten Krankheiten bringen und eine, wo möglich richtigere und richtige Einsicht in die wahre Beschaffenheit jener Tausende von ungeheilt bleibenden – bei der unumstößlichen Wahrheit des homöopathischen Heilgesetzes, dennoch ungeheilt bleibenden – chronischen Krankheiten gewinnen konnten … Diese Aufgabe beschäftigt mich seit den Jahren 1816, 1817 bei Tag und Nacht.“

Ihm kam die Idee, dass es – unabhängig von der aktuellen Pathologie des Patienten – eine Grunderkrankung geben musste, die eine Basis für alle folgenden Erkrankungen bildete. Diese Grunderkrankung musste man seiner Ansicht nach erfassen und mit dem passenden homöopathischen Mittel behandeln, um den Patienten gesund zu machen. Die Ergebnisse dieser Überlegungen hat Hahnemann schließlich in seinem zweiten wichtigen Werk, den „Chronischen Krankheiten“, genau beschrieben. Immer dann, wenn es ihm nicht gelang, einen Patienten dauerhaft von allen Beschwerden zu befreien und der Patient mit neuen oder veränderten Symptomen zurückkam, sah er den Grund dafür in einer der akuten Pathologie zugrunde liegenden chronischen Erkrankung, die er als „miasmatische Erkrankung“ bezeichnete. Diese musste im Zuge der Therapie behandelt werden.
Diese Basis, die Grunderkrankung, war für Hahnemann die Krätze, eine damals weitverbreitete, stark juckende Hautkrankheit, die von den konventionellen Ärzten mit zum Teil sehr gesundheitsschädlichen allopathischen Mitteln behandelt wurde, bis keine Hauterscheinungen mehr sichtbar waren. Für die konventionelle Medizin galt der Patient als geheilt, sobald die Krätze verschwunden war, für Hahnemann begann mit dieser Unterdrückung das chronische Leiden des Patienten.

„Meine Beobachtung: Auf durch böse Kunst unterdrückte, von der Haut verschwundene Krätze … folgte augenscheinlich chronisches Leiden mit gleichen oder ähnlichen Symptomen bei sonst gesunden Menschen.“

201703 Miasmen2Für ihn war die Krätze das Urübel, und das Miasma – also die Grunderkrankung, die der Krätze zugrunde lag – nannte er Psora. Solange der Organismus einigermaßen in Balance war, das Immunsystem aktiv und der Patient einen sorgfältigen Lebensstil verfolgte, schlummerte die Psora im Organismus. Sobald das Gleichgewicht der Körpers ins Wanken geriet und die Lebenskraft geschwächt war, wurde aus der latenten Psora eine aktive Erkrankung mit einer Vielzahl möglicher Symptome. (Das psorische Miasma wird in einer der nächsten Ausgaben im Detail beschrieben.)

„Miasmen sind die Basis aller Erkrankungen. Sie können vererbt oder erworben sein, durch Ansteckung oder Unterdrückung. Die einzige wirkliche Heilung der Patienten geschieht, wenn es gelingt, diese Miasmen zu erfassen.“

201703 Miasmen4Psora war für ihn eine extrem ansteckende Krankheit, die lebenslang nicht mehr aus dem Organismus vertrieben werden konnte – außer man wählte das passende homöopathische Mittel.
Hahnemann packte sehr viele Krankheitssymptome unter den Begriff der Psora und definierte homöopathische Mittel, die zur Therapie geeignet waren. Dennoch passten einige Beschwerden nicht in dieses Konzept. Er erkannte, dass es neben der Psora auch noch weitere Grunderkrankungen gab, die sich in ähnlicher Weise im Organismus festsetzen. Die beiden wichtigsten sind die Sykose (Grunderkrankung war die Gonorrhö) und die Syphilis (Der Schanker). Alle drei Erkrankungen waren für ihn ansteckend, wurden also durch Infektion übertragen. Sie unterscheiden sich in der Art der Symptome, die sie hervorrufen. (Auch Sykose und Syphilis werden wir in den nächsten Ausgaben genau besprechen.)

201703 Miasmen3Miasmenverständnis in der Zeit nach Hahnemann

Seit diesem Konzept von Hahnemann hat sich in der Miasmentheorie viel getan. Zuallererst änderte sich das Verständnis davon, wodurch sich die Krankheit im Organismus festsetzt. Bereits Kent, ein direkter Nachfolger Hahnemanns und einer der berühmtesten Homöopathen, hat die Ansicht vertreten, dass die Miasmen nicht nur vererblich sind, sondern dass sie auch im Laufe des Lebens erworben werden können. Jeder Organismus hat nach seinem Verständnis gewisse Veranlagungen, sog. Prädispositionen. Diese sind dafür ausschlaggebend, ob jemand auf eine gewisse geistige oder körperliche Belastung mit Magen-Darmbeschwerden oder mit Bronchitis reagiert. Das heißt, es wird jeweils die Erkrankung zum Ausbruch kommen, für die eine Prädisposition – eine miasmatische Vorbelastung – besteht. Die Prädispositionen (also Miasmen) werden vererbt.
Nach Kent kann es auch durch die falsche Anwendung von Arzneimitteln zu dauerhaften Schäden im Organismus kommen. Diese Arzneikrankheiten, also durch die Einnahme einer bestimmten Arznei hervorgerufenen chronischen Beschwerden, können ebenfalls im Vererbungswege weitergegeben werden.
Kent war ein sehr religiöser Mensch, und daher war für ihn auch eine vererbte Krankheit mehr als nur „Pech“. Er war der Ansicht, dass schlechte Gedanken (auch die der Vorfahren) die Basis für spätere Leiden legen konnten – eine Art Erbsünde. Krankheit entwickelte sich für ihn immer aus der geistigen Verfassung heraus, die körperlichen Symptome waren nur die Folge. Die Analyse der erblichen Vorbelastung (der miasmatischen Vorbelastung) war für ihn ein wesentlicher Bestandteil in der homöopathischen Anamnese und häufig der Schlüssel zur Behandlung.

„Noch etwas kann man beobachten, nämlich dass solche Kinder sykotischer Eltern im Aufwachsen eine spezielle Empfänglichkeit für die Sykosis haben, d. h., sie ziehen sich bei der ersten Gelegenheit fast sicher schon eine sykotische Gonorrhö zu. Diese abnorm gesteigerte Empfänglichkeit wird durch Eltern und Voreltern herbeigeführt, genauso wie die gesteigerte Anfälligkeit für Psora und die Empfänglichkeit für Syphilis.“
(Kent, Theorie der Homöopathie)

Nach Kent gab es noch viele weitere bedeutende Homöopathen, die die Idee der Miasmen weiter verfolgten und verfeinerten.
Einer von ihnen, der amerikanische Homöopath J.H. Allen, erweiterte die bestehenden Miasmen u.a. um das sog. Impf-Miasma. Damit war er einer der ersten, die sich mit den Schäden auseinandersetzten, die Impfungen im Organismus anrichten können.

Er bezeichnet Impfungen als eine „Eintrittspforte von Gift in den Organismus, durch den es zu degenerativen Prozessen im Körper und in der Folge zu chronischen Krankheiten kommen kann.“

Zu einer explosionsartigen Vermehrung der bis dahin bestehenden Miasmen kam es schließlich durch den indischen Homöopathen Rajan Sankaran. Er differenziert zehn unterschiedliche Miasmen und beschreibt ihre jeweilige Symptomatik ebenso wie typische Mittel, um diese Belastungen aus dem Organismus zu entfernen.
Die einzelnen Miasmentheorien unterscheiden sich sowohl im Hinblick auf die Anzahl der definierten Miasmen als auch darin, wie eine miasmatische Therapie jetzt genau aussehen soll. Das macht es für uns nicht gerade einfach, den roten Faden weiter zu verfolgen. Georges Vithoulkas, einer der weltweit bekanntesten klassischen Homöopathen, hat ein sehr logisches Konzept der Miasmen in direkter Weiterentwicklung der Gedanken von Hahnemann und Kent niedergeschrieben. Dieses Konzept hat sowohl in der Human- als auch in der Tierhomöopathie Gültigkeit.

Miasmen nach Georges Vithoulkas

Jeder lebende Organismus hat bei seiner Geburt bestimmte Eigenheiten, Charakteristika, Stärken und Schwächen. An den Schwachstellen können sich Krankheiten manifestieren. Vithoulkas nennt diese Schwachstellen „Prädispositionen“. Die Ursachen für Prädispositionen sind vielfältig: z.B. genetische Veranlagung, falsche allopathische oder naturheilkundliche Behandlung, verschiedenste äu- ßere Ursachen etc. Diese latent vorhandenen Prädispositionen können, müssen aber nicht zu Beschwerden führen. Akut werden sie immer nur dann, wenn der Organismus zu viel Stress ausgesetzt wird.

„Miasma ist eine Prädisposition zu chronischer Erkrankung, die dem jeweiligen akuten Erkrankten zugrunde liegt. Sie ist erstens von einer Generation zur anderen übertragbar und kann zweitens günstig beeinflusst werden durch die passende, d. h. homöopathisch angezeigte Nosode, die entweder aus dem erkrankten Gewebe oder dem entsprechenden Medikament bzw. Impfstoff hergestellt worden ist. Aus dieser Definition wird deutlich, dass es vielerlei Miasmen gibt und dass ihre Zahl durch immer ausgeklügeltere Therapien ständig zunimmt.“

Der Organismus aktiviert bei Stressbelastung immer diejenige Prädisposition, die ihn im normalen Funktionsablauf möglichst wenig beeinträchtigt, und produziert entsprechende Symptome. Nur dann, wenn die negativen Einflüsse weiter bestehen, muss er seine Abwehr verstärken und ggf. die nächste Prädisposition (Miasma) aktivieren. Ohne homöopathische Therapie rutscht der Organismus daher im Laufe des Lebens immer weiter in Richtung Krankheit. Dieses Modell entspricht der Idee Hahnemanns vom Fortschreiten der Miasmen: von der Psora zur Sykose, weiter zur Syphilis.

201703 Miasmen5Miasmen in der Veterinärhomöopathie

Wie wichtig ist nun für uns das Verständnis der Miasmentheorie, wenn wir ein Tier homöopathisch behandeln wollen? Brauchen wir dieses Wissen oder nicht? Kurz gesagt: Ja, wir brauchen es! Bei jeder Erstanamnese stellt sich unser Patient bei uns mit seinen momentan aktuellen Symptomen vor. Wir sehen eine Mischung aus ererbten und erworbenen Belastungen, aus akuten und chronischen Beschwerden, und wir sehen auch, auf welche Art und Weise das uns vorgestellte Tier auf diese Belastungen reagiert. Psorisch, sykotisch, syphilitisch etc. Wenn wir korrekt verschreiben wollen, müssen wir alle diese Fakten berücksichtigen. Das heißt nicht, dass wir „miasmatisch verschreiben“ und ohne Reflexion eines der Mittel aus den entsprechenden Repertoriumsrubriken wählen. Nur wenn wir das Reaktionsmuster, die Tiefe der Erkrankung und möglichst alle Vorbelastungen richtig erkennen, können wir Patienten mit chronischen Erkrankungen richtig therapieren.

Vorschau: In den nächsten Ausgabe von „Mein Tierheilpraktiker“ besprechen wir die Psora – nach Hahnemann das Grundmiasma, auf dem alle weiteren beruhen.

MMAG. ISOLDE HEIM

 

MMAG. ISOLDE HEIM
TIERHEILPRAKTIKERIN, HUMANENERGETIKERIN

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