Gut Rosenbraken: Praktikums-Tagebuch
von Mark Range (Fotos von Daniela Buske)
Theorie ist die Grundlage für Wissen, Verständnis und erlernte Fähigkeiten. Niemand kann Pythagoras verstehen, ohne vorher das kleine Einmaleins erlernt zu haben. Aber was ist theoretisches Know-how ohne praktische Erfahrung? Selbst unser duales Ausbildungssystem für anerkannte Berufe basiert seit einer Ewigkeit auf dieser Methodik. Auf Gut Rosenbraken kann man das hautnah erleben. Gerade für Menschen, die praktisch orientiert sind, ist dies eine einmalige Möglichkeit, Zusammenhänge zu verstehen und direkt anzuwenden. Es gibt ein altes Sprichwort für das Lernen durch Aufschreiben, welches lautet: Über die Hand in den Kopf. Vielleicht ist das im Zeitalter der Digitalisierung und der vielen anderen Medien etwas überholt. Aber hier passt es genau! „Über die Hand in den Kopf“, ganz nah am Tier, nicht nur am Buch. Das Tier berühren, abtasten, beobachten, untersuchen. So kann ich am besten lernen, und es geht vielen anderen genauso. Man kann hier seine Sinne schärfen, ein Gefühl dafür entwickeln, was in Zukunft auf einen zukommt. Besonders erwähnenswert ist die Bereitschaft der Dozenten und der Schulleitung, auf Patiententiere aus den eigenen Reihen einzugehen. Fallbeispiele aus dem wahren Leben.
So kam es z.B. am 30. September dazu, dass nach anfänglicher Grundlagentheorie nicht nur die Kaltblüter der VDT-Akademie Rosenbraken abgetastet und untersucht wurden, sondern auch das Deutsche Sportpferd einer Mitstudentin. Die 6-jährige Stute hatte sich beim Springen eine Ringbandüberdehnung hinten links am Fesselgelenk zugezogen. Nach vierwöchiger Schonbelastung war sie bereits wieder seit zwei Wochen im Aufbautraining. Nach ausführlicher Voruntersuchung mit anschließender Ganganalyse konnten wir in der Gruppe unsere Feststellungen vortragen und diese gemeinsam mit unserem Dozenten THP Dirk Röse besprechen. Vieles war auch für den Laien gut zu erkennen. Was uns jedoch entgangen war und durch Herrn Röse erklärt wurde, war dann aber im zweiten Durchgang leichter sichtbar. Das Auge muss für Diagnosen geschult werden, dafür sind wir hier! Und das geht nicht mit einem Buch oder Skript, das geht nur in einer Reithalle mit einem echten Tier. Die Diagnosen deckten sich durchweg mit den Beschreibungen der Besitzerin. Schwacher Muskelzustand, steinharte Rückenpartie, kalte Muskelgruppen und steife Gelenke an der Hinterhand. Alles ergab einen Sinn.
Nun wurden am Pferd manuelle Behandlungen vorgenommen:, Ausstreichen von Rücken und Hüftpartie, Bewegen der Gelenke, Dehnen und Strecken der Hinterhände … und das wurde nicht nur durch den Dozenten gemacht. Jeder einzelne Schüler hat dies einmal durchgeführt und dabei erlebt, wie ein Pferd innerhalb kürzester Zeit zeigt, dass dies ihm guttut. Entspannung und Wohlgefühl wurden deutlich sichtbar. Und es war bemerkenswert, welche Geduld dieses Tier dabei aufgebracht hat, denn es waren 18 Schüler, die alle einmal am Tier gearbeitet haben. Danach wurde die Stute in eine Waschbox gebracht, um dort noch eine Elektrotherapie mit vier Pads auf dem Rücken durchzuführen. Auch in der Tierheilpraktik hat die Digitalisierung längst Einzug gehalten. Es werden geringe Elektroimpulse von einem Steuergerät über Kabel an die ausgewählten Muskelgruppen gegeben. Hierbei wird zuerst etwa 10 Minuten eine sedierende Wirkung stimuliert, danach wurde in diesem Fall ein Programm für Pferde mit Verspannungen in der Rückenmuskulatur gewählt. Das verwendete Gerät hat für alle gängigen Tiere und deren Muskelgruppen fest hinterlegte Programme, lediglich die Intensität muss dem jeweiligen Tier angepasst werden. Nach dieser Behandlung wurde die Stute erneut in der Reithalle zur Ganganalyse vorgeführt. Ich war begeistert und fasziniert! Nur eine Behandlung, und da lief ein ganz anderes Tier. Die Hinterhände machten mindestens 20 – 30 cm mehr Gang, der Rücken bewegte sich auf und ab, der Kopf bzw. die Halswirbelsäule bewegte sich nach rechts und links, später sogar auf und ab. Das Tier machte einen sehr entspannten Eindruck, und als wir es alle noch einmal abgetastet haben, waren wir einstimmig der Meinung, dass Rücken und Hüfte weicher und gleichmäßig warm waren. Das war der Beweis, dass nun alle Muskelgruppen gearbeitet hatten. Selbstverständlich war das alles nur ein Anfang und noch lange nicht perfekt. Die Prognose von THP Röse umfasste noch ca. acht weitere Behandlungen, dazu ein abgestimmtes Training mit passendem Futter für den Muskelaufbau. Ich bin überzeugt, dass dieser Therapievorschlag zum Ziel führen wird.
Es war mal wieder ein ganz besonderes Praktikum auf Gut Rosenbraken, hier kann man immer was mitnehmen, das man nie wieder vergessen wird. Das ist Praxis, Lernen durch Begreifen, Lernen durch Erleben!
Fotos: © Röse, holgerkirk – Fotolia, Daniela Buske (3), BENNY TRAPP – Fotolia