Kaninchen: Behandlung nach Amputation
DIE GESCHICHTE VON KANINCHEN FINDUS
Notfall am Feiertag
Da ich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen rund um die Uhr sowie auch an Sonn- und Feiertagen erreichbar sind, klingelte am 24.12.2014 mein Praxistelefon. Am anderen Ende meldete sich ein besorgter Kaninchenbesitzer, der mir von seinem Deutschen Riesen erzählte, der einen großen Abszess am rechten Hinterlauf hätte. Er habe das Tier vor kurzer Zeit von der Straße aufgelesen und es wäre bestimmt dort angefahren worden.
Die tierärztliche Lösung war das Euthanasieren des Kaninchens, womit der Besitzer aber nicht einverstanden war.
Er hoffte nun auf ein Mittel, mit dem der Abszess sich öffnen, der Eiter abfließen und der Hinterlauf wieder heilen würde. Das Tier sei sonst bei gutem Zustand, würde sehr gut fressen und genieße das Zusammensein mit seinem Partnertier, einer Rexkaninchendame.
Nachdem ich dem Besitzer erklärte, dass ich ohne das Tier gesehen und untersucht zu haben, keine Aussage treffen möchte und darf, gab ich ihm den Hinweis auf das homöopathische Mittel Myristika Sebifera (Talgmuskatnussbaum). Myristika Sebifera wird auch als das „homöopathische Messer“ bezeichnet und dient zur Öffnung von eitrigen Abszessen.
Findus geht es wieder schlecht
Sieben Monate später läutete wieder mein Telefon. Der Besitzer des Deutschen Riesen war nun noch besorgter als an Weihnachten. Er berichtete, dass das Myristika Sebifera nichts gebracht hätte, aber bei der Gabe von Sulfur wären die Abszesse aufgebrochen und seitdem würde der Eiter quasi literweise aus dem Fuß laufen. Der Deutsche Riese, der auf den Namen Findus hört, würde aber weiterhin gut fressen und trotz seines Handicaps durch das Gehege laufen und die Zuneigung seiner Partnerin genießen. Den erkrankten Fuß würde das Tier aber kaum noch einsetzen, lediglich als Stütze, um sich zu putzen.
Die Entscheidung
Mit einem Kloß im Hals fragte mich der Besitzer, was ich von einer Amputation des Hinterlaufs halten würde? Dies wäre eine Option der behandelnden Tierärztin gewesen, oder eben einschläfern.
Er mache sich Sorgen, ob Findus überhaupt damit leben könne und die Schmerzen erträglich wären. Da der Besitzer beruflich sehr eingespannt war, befürchtete er, keine Zeit zu haben, um Findus nach einer eventuellen Amputation ausreichend versorgen und beobachten zu können.
Zuerst erklärte ich ihm, dass seine Sorgen unbegründet seien. Das Kaninchen würde auch mit drei Beinen sehr gut zurechtkommen und sich wahrscheinlich weniger Gedanken darüber machen als der Mensch. Wir Menschen denken oft zu viel und machen uns Sorgen, wo eigentlich keine sind. Und daraus entstehen oft noch weitere Probleme. Wenn ein Mensch die Nachricht erhält, dass sein Bein amputiert werden muss, bricht eine Welt für ihn zusammen. Er verfällt oft sogar in eine Depressionen und denkt auch über Suizid nach.
Da haben uns unsere Tiere einiges voraus. Sie arrangieren sich. Sie kommen damit zurecht, ohne groß darüber nachzudenken. Sie kämpfen! Und dass Findus sieben Monate nach dem ersten Anruf seines Besitzers immer noch lebt, zeigt, welch ein großer Kämpfer er ist!
Vor- und Nachsorgequartier
Ich machte dem Besitzer folgenden Vorschlag: Er solle sich an einen mir bekannten Tierarzt wenden, der auf Heimtiere spezialisiert ist. Er solle dort mit Findus vorstellig werden und eventuell einen Termin zur Amputation vereinbaren. Er könne dann Findus und seine Häsin Agnes zu uns bringen und wir würden uns vor und nach der OP um Findus kümmern.
Der Besitzer war sehr erfreut und erleichtert über diesen Vorschlag und willigte direkt ein. Der OP-Termin sollte so schnell wie möglich stattfinden, damit durch die Entzündung aufgrund des Eiters keine Sepsis hervorgerufen würde.
Zwei Tage später, an einem Sonntagnachmittag, zogen Findus und Agnes bei uns in ein Gehege ein. Er muss auch in Zukunft in einem Innengehege oder gar Kaninchenzimmer untergebracht werden, um Komplikationen, wie z. B. Verletzungen durch unkoordiniertes Umherhoppeln auf drei Beinen, zu vermeiden. Dabei kommt es auch auf eine gute Strukturierung des Geheges an. Stolperfallen sind zu vermeiden und der Untergrund muss rutschfest und leicht zu reinigen sein. Mein erster Eindruck von dem Deutschen Riesen war, dass er sich unwohl fühlt und Schmerzen hat. Auch sein Gesicht war unentspannt!
Abends erschrak ich durch die heißen Ohren von Findus. Durch Fiebermessen stellte ich eine Temperatur von 41,2 Grad fest. Normalwert: 38,5 bis 39 Grad. Und das zwei Tage vor dem OP-Termin. Ich versuchte, mit „Traumeel ad.us.vet“-Ampullen in einer Dosis von 1ml/kg Körpergewicht gegen Fieber und Schmerzen vorzugehen. Ich kühlte die Ohren mit kalten, nassen Tüchern und verabreichte oral zusätzlich Wasser.
Die Amputation
Montag ging es los zum Tierarzt, bei dem ich Findus am Dienstag gegen Abend wieder abholen könne, sofern er die OP überstanden hätte. Und er hatte!
Als ich „Dreibein“ Findus nach Hause brachte, war er müde und konnte mit sich und der Welt nichts anfangen. Er war doppelt mit Schmerzmittel und Antibiotika abgedeckt. Agnes war hocherfreut, ihren Findus wieder bei sich zu haben und leckte ihm entzückt das Gesicht sauber.
Jetzt musste der Kerl fressen! Vorne musste viel rein und hinten hoffentlich wieder raus! Ich entschloss mich, ihm eine Kur mit dem biologischen Heilmittel Bioserin zu verabreichen. Dieses Mittel wird aus dem Serum von Pferden gewonnen, die aus artgerechter und kontrollierter Haltung stammen. Bioserin wird u. a. angewandt, um den Appetit anzuregen, das Immunsystem aufzubauen, es stimuliert den Stoffwechsel und hilft bei allgemeiner Konditionsschwäche.
Und Findus fraß und trank viel! Das war auch gut so, weil damit die Narkose schneller aus dem Körper gespült werden konnte.
Etwas benommen hoppelte er einen Tag später durchs Gehege und ruhte sich viel aus. Wir hatten ihm einen Hundekorb aus Kunststoff mit Einstreu und Stroh hingestellt. Der Einstieg in diesen Korb war niedriger und Findus kam gut rein und raus, ohne hängen zu bleiben. Er liebte es, dort im Stroh zu liegen.
Happy End
Die rechte Körperhälfte wurde mit einem Fellhandschuh gebürstet, da er sich dort mit der fehlenden Hinterpfote nicht mehr richtig putzen konnte.
Ein Tunnel diente zum Rückzug, wenn Agnes mal wieder zu viel spielen wollte. Die Nachuntersuchung, vier Tage später beim Tierarzt, verlief sehr positiv und alle waren überrascht, wie gut es Findus ging. Das Schmerzmittel wurde herabgesetzt und nach einer Woche ganz abgesetzt.
Heimkehr
Nach insgesamt zwei Wochen war es dann endlich soweit: Die Zwei durften wieder zu ihrem Besitzer nach Hause. Und dieser war mächtig froh, dass alles so gut verlaufen war!
Und ich: Ein lachendes und ein weinendes Auge, dass mein Schützling mich wieder verlassen durfte!
Ich wünsche Findus ein langes, langes Kaninchenleben!
SYLVIA RECH
TIERHEILPRAKTIKERIN MIT MOBILER TIERHEILPRAXIS
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