Kissing Spines beim Pferd - Teil 2
Wenn beim Pferd die Diagnose „Kissing Spines“ (KS) ausgesprochen wird, sind die meisten Besitzer erschüttert und denken sofort an die absolute Unreitbarkeit oder Schmerzen ihres Pferdes, die das Alltagsleben überschatten werden. Über den gesamten Krankheitsverlauf, die Entstehung und die Ursachen dieses Krankheitsbildes sind sich die meisten Besitzer oder Reiter kaum bewusst. Was genau verbirgt sich hinter diesem Krankheitsnamen? „Kissing Spines“ bedeutet „küssende Wirbel“. Obwohl Küssen eine schöne Geste der Zuneigung ist, ruft sie in der Wirbelsäule der Pferde enorme Schmerzen hervor.
Anatomische Erläuterung zur Entstehung von Kissing Spines
Fast jedes Rückenproblem beginnt in oder mit der Muskulatur. Falsche Belastungen oder Überbelastungen führen zu Muskelkater und können, wenn nicht erkannt und nicht behandelt, zu Entzündungen führen. Da die Rückenpartie der Brustwirbelsäule (BWS) lediglich durch Bänder und Muskeln gehalten und stabilisiert wird, ist im Falle einer atrophierten oder beschädigten Muskulatur das Fortschreiten einer Veränderung der knöchernen Struktur unausweichlich.
Dieser degenerative Vorgang wird als die häufigste Veränderung der Pferdewirbelsäule zwischen Th10 und Th18 (Bezeichnung für Brustwirbel) beschrieben und ist im Haupttragebereich des Reiters zu finden. Wenn man im Hinterkopf hat, dass ein Pferd ein zusätzliches Reiter-/Gewicht anatomisch nur tragen kann durch eine sich selbst stabilisierende Muskulatur – gerade in dem o. g. erwähnten Bereich – ist die Dunkelziffer der erkrankten Tiere mit Sicherheit um ein Vielfaches höher als die nachgewiesenen diagnostizierten Pferde.
Diagnose „Kissing Spines“
Kissing Spines, oder wie in der Veterinärmedizin auch öfter als Thorakales Interspinales Syndrom (TLI-Syndrom) tituliert, wird anhand der erstellten Röntgenbilder in verschiedene Stadien eingeteilt. Veränderungen an der BWS zeichnen sich als milchige Schatten (Kalziumeinlagerungen) zwischen den Dornfortsätzen im Bereich der Bänder oder als weiße Umrandung der Dornfortsätze ab. In schweren Fällen ist der gesamte betroffene Bereich der BWS vernebelt.
- Wirbelengstände oder 1. Grad: Zwei oder mehr sich berührende Dornfortsätze mit wenig Sklerosierung der Kortikalisränder
- Berührende Dornfortsätze (Kissing Spines) oder 2. Grad: Zwei oder mehr sich berührende Dornfortsätze mit mittelgradiger Sklerosierung der Kortikalisränder
- Überlappende Wirbel (Overriding Spines) oder 3. Grad: Zwei oder mehr sich berührende und überlappende Dornfortsätze mit Sklerosierung der Kortikalisränder und/oder zystoider Defekte (flüssigkeitsgefüllte Hohlraumbildung im Knochen)
Ich weise darauf hin, dass es bisher nicht bewiesen wurde, in welchem Grad die Schmerzen am meisten auftreten. Also kann auch z.B. der 3. Grad im Schmerzempfinden des Pferdes unterschiedlich ausfallen. Oder wenn der 1. oder 2. Grad zu sehen ist, wird meist zur Beurteilung zusätzlich noch eine Szintigraphie erstellt, um den Schmerz mit den jeweiligen Graden abzugleichen oder einstufen zu können. Bei der Szintigraphie wird festgestellt, ob die im Röntgenbild auffälligen Veränderungen an der BWS auch stoffwechselaktiv sind und ob weitere, tiefer liegende Strukturen entzündet und beschädigt sind. Liegt ein eindeutiger Befund vor, wird mit dem Besitzer die anstehende Behandlung abgesprochen. Diese kann von der jeweiligen Erfahrung des involvierten Arztes sehr unterschiedlich ausfallen.
Herkömmliche Therapien
In den meisten Fällen wird mit einer systemischen oder lokalen Verabreichung von Schmerzmitteln begonnen, die entzündungshemmende, muskelentspannende und durchblutungsfördernde Substanzen enthalten. Anabolika oder andere muskelaufbauende Futterzusätze werden ebenfalls gerne eingesetzt, um die Schwachstellen mit passendem Training zu kompensieren bzw. zügig wiederaufzubauen.
Schnelle Hilfe gibt die Mesotherapie, bei der geringe Mengen Entzündungshemmer zusammen mit einem Lokalanästhetikum in die Haut (intrakutan) entlang der BWS verabreicht werden. Dieser Depot-Aufbau zwischen den oberen Hautschichten ermöglicht dem Körper, über einen gleichbleibenden langsamen Zeitraum das Medikament aufzunehmen und der Muskulatur eine Entspannung durch die „schleichende“ Schmerzlinderung zu ermöglichen. Diese vielseitig mögliche Anwendung mit individuellen Wirkstoffen kann auch mit homöopathischen Präparaten erfolgen, hier wird gerne Traumeel verwendet.
Elektrostimulation und Ultraschall-Behandlungen werden immer öfter angeboten und vorgeschlagen. Auch chirurgische Methoden, mit denen z.B. eine Resektion der betroffenen Dornfortsätze oder ein Weiten durch Abfräsen/-feilen der Dornfortsätze an den Engständen Abhilfe der SchmerzGrundlage schaffen soll, sind in der modernen Schulmedizin mittlerweile als Bestandteil im Behandlungskatalog von Kissing Spines aufgeführt. Allerdings belegen noch nicht genü- gend Studien die Vorteile, sodass diese Art der Behandlung noch als eher fraglich zu bewerten bzw. noch nicht als gängig und empfehlenswert anzusehen ist.
Meines Erachtens hilft es nicht, nur die Entzündung zu bekämpfen, solange die Ursache (Fehlstellung in der WBS) bestehen bleibt. Es handelt sich dann lediglich um eine Symptombehandlung, denn einmal verwachsene (sklerosierte) Dornfortsätze lassen sich ohne Fremdeinwirkung nicht mehr trennen, und die vorher erwähnten Operationen sind aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Ob eine Schmerzfreiheit dadurch tatsächlich erreicht wird, wage ich zu bezweifeln.
Sicherlich sind diese schulmedizinischen Therapien nicht komplett unnötig, aber auch nicht der einzige Weg. Daher möchte ich auf alternative Möglichkeiten hinweisen, die eine Schmerzfreiheit bei dieser Diagnose ebenfalls erreichen können.
Ansatzpunkt Haltung
Bei der Diagnose KS sollte sich jeder Besitzer im Klaren darüber sein, dass die Haltung seines erkrankten Pferdes ihn auf neue Wege führen wird. Die Mehrkosten für zusätzliche Aufwendungen sind nicht außer Acht zu lassen.
Ein Stallwechsel ist in Betracht zu ziehen, wenn die bisherige Unterbringung nicht für genügend freie Bewegung sorgen kann. Die reine Boxenhaltung wäre absolut kontraproduktiv. Eine Paddock-Box, ein Offenstall oder zumindest ein ganztätiger Weidegang (auch im Winter!) mit möglichst wenig Stresspotenzial (z.B. ständige Verfügbarkeit von Heu) sind unabdingbar und ermöglichen dem Pferd, seinem eigenen Bewegungsdrang nachzukommen. Auch die Dehnungshaltung beim Grasen auf der Weide ist sehr gut, entspannt den Rücken und unterstützt die natürliche Körperhaltung. Grundsätzlich bin ich eher der Natur unterstellt und halte nichts von einer „Vermenschlichung“ der Pferde, wenn viele Reiter bereits im Herbst anfangen, ihre Lieben „einzudecken“. Aber im Falle von KS-Pferden ist es enorm wichtig, dass der Rücken bzw. die Muskulatur am Rücken keiner Zugluft ausgesetzt wird. Auch Regen, Wind und das daraus resultierende nasskalte Fell führen zu weiteren ungünstigen Verspannungen. Daher sollte der Rücken stets warmgehalten und mittels Regendecken vor Nässe geschützt werden. Bei dieser Thematik möchte ich auch die Wärmetherapie einflechten, die zur Förderung der Durchblutung in der Rückenmuskulatur äußerst unterstützend wirkt. Es gibt zwei namhafte Firmen, die sich mit dieser besonderen Art der Wärmetherapie auseinandergesetzt haben. Im Gegensatz zu normalen Abschwitz-Decken (meist aus Fleece), die zwar wärmend sind und eine gute Abschwitzfunktion besitzen, haben die nachfolgenden Textilien weitere günstig einwirkende Eigenschaften. Die eingearbeiteten Materialien ermöglichen dem Körper, seine eigene Körpertemperatur zielgerichtet „einzusetzen“. Die bei „Back on Track“ z. B. verwendeten und eingearbeiteten Keramik-Partikel reflektieren die eigene Körperwärme als Infrarotstrahlung. Dies kann sich positiv auf Gelenke und Muskeln auswirken. Anders ist die Funktion der „Recuptex Therapiedecke“ von Bucas. Diese reflektiert oder aktiviert im Gegensatz zu anderen auf dem Markt üblichen Magnetfelddecken das eigene Magnetfeld, das im Körper ist, anstatt es neu zu erzeugen, und wirkt dadurch zusätzlich durchblutungsfördernd. Das feine eingearbeitete Edelstahl-Gewebe im Rückenbereich sorgt für ein zügiges Wohlbefinden durch die schnell entstehende Wärme und direkt wahrnehmbaren Schwingungen. Die Decke sollte 15 – 20 Minuten vor dem Training eingesetzt werden. Dass ein Vorwärmen der Pferde zu Beginn jeder Trainingseinheit erfolgen sollte, versteht sich von selbst. Aber im Zusammenhang mit KS ist dies unerlässlich und unterstützt nicht nur die Losgelassenheit im Rücken, sondern auch den dadurch erleichterten Muskelaufbau.
Ein weiterer Aspekt im Bereich Haltung sollte das Augenmerk auf die Hufe sein. Eine falsche oder nicht korrekte Hufstellung kann ein Pferd komplett aus der Balance bringen und entweder für weitere Baustellen sorgen oder sich zusätzlich negativ auf die BWS auswirken. Ob Beschläge mit Eisen, orthopädische Hilfsmittel oder ein gut gestellter Barhuf ausreichend sind, sollte mit einem fachkundigen Schmied oder Barhufbearbeiter besprochen werden. Selbstverständlich gehört in die Rubrik auch das notwendige Equipment, um ein Pferd zu trainieren und reiten zu können. Der Sattel – ein Riesenthema in der Reiterwelt – wird jedes Mal aufs Neue diskutiert. Aber wie das Rad nicht neu erfunden werden kann, bleibt der Fakt, dass ein Sattel nicht nur bei KS-Pferden 100%ig passen muss. Hier liegt leider fast immer die Ursache für (Rücken-)Probleme. Ein fundierter Sattler kann mit einem erfahrenen Auge gleich sagen, ob ein Sattel passt bzw. richtig liegt, keinen Druck aufbaut, Schulterfreiheit gewährt und unter dem Reitergewicht für keinerlei Probleme sorgen wird. Auf einen breiten Kanal im Sattel für absolute BWS-Freiheit sollte bei einer KS-Erkrankung geachtet werden, um die empfindliche Stelle am Rücken nicht weiter zu reizen und eine großflächige Druckverteilung des Reitergewichtes zu gewährleisten. Ob ein Reiter nicht trotzdem fehlerhafte Einwirkung mitbringt, greife ich an anderer Stelle wieder auf.
ROSA-MARINA SINZIG
PFERDEOSTEOPATHIN
TIERHEILPRAKTIKERIN
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