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Burnout auf vier Pfoten: Gedanken vom tier-menschlichen Diwan

Burnout auf vier PfotenNehmen Sie sich Zeit…

Sich zu beeilen, um Zeit zu sparen, ist selten ein Gewinn. Wer sich Zeit lässt, ist wirklich reich.
Tiere lassen sich Zeit zum Jagen, Spielen, Herumtollen, Fressen, Fortpflanzen und um ihre Jungen aufzuziehen. Sie leben nach dem Tag-Nacht-Rhythmus und den Jahreszeiten in der Natur. Gassi gehen, schnuppern hier und da, in aller Seelenruhe herumtollen mit Artgenossen auf der grünen Aue, im Wald oder im Stadtpark.
Aber da geht es schon los! In der viel umstrittenen Brut- und Setzzeit vom 01. April bis 15. Juli herrscht Leinenzwang. Und wer angeleint ist, hat ein Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung“. Stress ist also vorprogrammiert.
Es ist ja auch noch der Mensch voll im Stress. Nichts mit Hund laufen lassen und nebenbei E-Mails lesen.
Manche Hunde müssen sogar im Gehen pinkeln, weil sie an der Leine weitergezogen werden, weil die Ampel auf grün schaltet, obwohl sie gerade das Bein an einem Pfosten gehoben haben. Egal, schnell noch einen Kaffee „to go“, einen Burger und fertig. Kein Tier frißt Fast Food im Gehen und nimmt mal eben einen Wassernapf „to run“. Alles muss schnell gehen. High speed und full service zum Mitnemen! Die Folge: Burnout auf vier Beinen! Tiere leben heute in unserer menschlichen Gesellschaft in einer für sie völlig unnatürlichen Welt. Hunde sollen sofort folgen, sich in einer viel zu kleinen Zone mit zahlreichen, wildfremden Hunden vertragen, danach durch die Einkaufsstraße, vorbei an tausenden Menschenbeinen, ruhig neben uns her trotten und im Cafe brav am Platz bleiben.
Zuhause mindestens zehn Stunden lieb warten, während der Fernseher im Wohnzimmer flackert, in der Küche das Radio dudelt, draußen der Postbote an der Türe rappelt, die Nachbarskinder lärmen, um uns dann abends zur Heimkehr freudig zu begrüßen. Viele Verhaltensprobleme haben ihre Ursachen in einem zu hohen Maß an Stress. Unsicherheit und Ängstlichkeit, ein unausgeglichenes Verhalten, leichte Reizbarkeit, Aggressionsprobleme, Zerstörungswut, Durchfall, Krankheitsanfälligkeit uvm. Wenn es gar nicht mehr geht, bleibt aus Zeitmangel nur die Abgabe an ein Tierheim!
Wir als Tierheilpraktiker/in sind ein ideales Bindeglied zwischen Mensch und Tier, denn Stress ist für beide präsent. In meiner Sprechstunde erlebe ich immer wieder, wie entspannt die Tierbesitzer erzählen, wenn ich Ihnen Zeit gebe und zuhöre.
Sie verschmelzen völlig mit ihrem Tier und streicheln es nebenbei sogar. Das Streicheln von Fell schüttet beim Menschen Oxytocin aus, das Glückshormon, das für soziale Kontakte veranwortlich ist. Plötzlich sind 30 Minuten Zeit wunderbar gefüllt mit Wissen und Wohlfühlatmosphäre. Da klappt es sogar ganz nebenbei mit einer Injektion.
Die Nachfrage zur Stressbewältigung für Tiere oder mit Tieren steigt steig an. Viele Tierbesitzer nutzen dieses Phänomen rein instinktiv. Ich kenne wenige Reiter, die mal eben schnell reiten gehen. Die meisten Hundebesitzer nehmen sich Auszeiten für einen Spaziergang in Ruhe oder für die Kuschelphase mit der Katze auf dem Sofa. Die Kinder dabei zu integrieren kann wahre Wunder bewirken. Das Essen schmeckt plötzlich besser und die Hausaufgaben flutschen.
Welches Tier zu einem passt, ist immer wieder ein Thema in der Tierheilpraxis. Multitasking, Zeitdruck, Monotonie und Störungen bei der Arbeit. Gründe genug, sich einen Bürohund anzuschaffen, der für eine gute Atmosphäre und regelmäßige Pausen mit Frischluftgang sorgt. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat einen Stressreport 2012 bereitgestellt. Mehr dazu auf Seite 52, VDT e. V. News & Wissenwertes.
Bei telefonischen Terminvereinbarungen mit den Tierbesitzern frage ich stets: „Wann haben Sie Zeit, Ihr Tier vorzustellen?“ Obwohl auch mein Terminkalender ziemlich überfüllt ist, finden die Tierbesitzer meist doch schnell einen passenden Termin. Am Ende fühlt sich jeder gut aufgehoben, wenn ein Termin nach seiner Zeitplanung gefunden wurde, und ich weiß alleine schon aus diesem Gespräch, wie viel Zeit und Intensität ich einplanen muss. Manchmal wundere ich mich selbst, wie intensiv und zufriedenstellend Zeit lösungorientiert gefüllt werden kann. Oft waren es nur 15 Minuten, die sich jedoch angefühlt haben, als hätte ich mich Tage mit dem Tier beschäftigt. Sich Zeit zu nehmen heißt Qualität, nicht Quantität!
Bereits fünf Minuten im Wartezimmer zu warten, kann nervig lange erscheinen, wenn ich doch um Punkt 16 Uhr einen Termin habe! Fünf Minuten auf einem Massagestuhl, mit angenehmer Entspannungsmusik, sind dagegen unvergessen. Das gilt für Tiere ebenso. Fünf Minuten mit dem Ball gespielt oder eine kleine Runde Gassi gehen, hat viel mehr Wert an Lebensqualität als fünf Minuten an der Leine unter Druck unterm Stuhl am Platz bleiben zu müssen und nicht bellen zu dürfen. Ein gutes Zeitmanagement in der Tierheilpraxis und ein entsprechender Therapieplan zahlen sich aus.
Belohnt werde ich stets mit einen herzlichen „Danke für Ihre Zeit“ und einem selbstverständlichen Ausgleich der Rechnung. „Burnout auf vier Pfoten“ wird auf dem kommenden VDT-Kongress vom 19. bis 21. Oktober 2013 in Hannover ein Vortragsthema sein.

Ihre Monika Heike Schmalstieg, THP
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Foto: © Shutterstock, Grau / Pixelio

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