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Serie: Tierosteopathie - Parietale Osteopathie

TEIL 1

Ursprünglich bin ich gelernter Kaufmann, hatte aber schon immer Hunde und kam über Erziehungsfehler und den Verlust meiner Drahthaarhündin, die 15 Jahre ihr Leben mit mir teilte, zur Naturheilkunde. Ich entschloss mich für die Ausbildung zum Tierheilpraktiker an der Paracelsus Schule Münster und absolvierte im Anschluss daran die Fachqualifikationen zum Hundephysiotherapeuten und zum Hundeosteopathen. Dieser Beruf fasziniert mich bis heute, sodass ich eigene osteopathische Techniken entwickelt habe, um noch schneller und gezielter Hunden und Pferden helfen zu können.
Mittlerweile biete ich selbst die Ausbildungen zum Hundephysiotherapeuten und zum Hundeosteopathen an der Paracelsus Schule Münster an, um eine Grundlage für den weiteren Ausbau dieser hervorragenden Therapiemöglichkeiten auch in der Tiermedizin zu schaffen.
Die 5-teilige Serie über Osteopathie, die mit diesem Artikel startet, gibt einen tiefen Einblick in die unterschiedlichen Methoden und Möglichkeiten der osteopathischen Therapie.
Wir überprüfen, wie auch in der Physiotherapie, die Muskulatur durch palpatorisches Erfassen des myofaszialen Zustandes, versuchen so, Verklebungen (Adhäsionen) und Verhärtungen im Bereich von Muskeln und Faszien aufzufinden und nach einer pathologischen Reflexantwort deren Ursache zu erkennen.
Jeder Muskel, jedes Band, jede Sehne, jedes Gelenk, jeder Nerv hat im Körper eine bestimmte Aufgabe, die er manchmal allein, manchmal im Verbund mit anderen Strukturen erledigen muss. Das Auffinden eines Problems, das diesen Ablauf hemmt, nennt man palpatorische Diagnostik.
Ich beginne diese Serie mit der parietalen, also der Körperwand zugehörigen diagnostischen Osteopathie. Fortfahren werde ich mit einem viszeralen, einem faszialen und einem myofaszialen Teil. Im vierten und fünften Abschnitt stehen die Cranio-Sacral-Therapie und praktische Beispiele im Fokus.

BETRACHTUNG DER WIRBELSÄULE

Die Wirbelsäule, egal ob bei Mensch oder Tier, ist aus Wirbelkörpern aufgebaut, die – je nach Wirbelsäulenabschnitt – mehr oder weniger lange Fortsätze (Dornfortsatz = Processus spinosus, Querfortsatz = Processus transversus) aufweisen. Die nach oben gerichteten Dornfortsätze lassen sich am Rücken leicht ertasten, während die seitlich an den Wirbelkörpern verankerten Querfortsätze dafür zu tief liegen. Kippt ein Dornfortsatz nach rechts, rotiert der zugehörige Wirbelkörper nach links. Dadurch drückt der linksseitig verankerte Querfortsatz die linke Rückenmuskulatur nach oben. Diese Veränderung lässt sich dann linksseitig als Verhärtung bzw. „angehobenes“ Gewebe tasten.
Da die aus dem Rückenmark stammenden Spinalnerven durch Löcher zwischen den Wirbelkörpern (Foramina intervertebralia) in die Peripherie ziehen und sich diese Foramina bei einer Rotation des Wirbelkörpers verengen, werden die Spinalnerven in Mitleidenschaft gezogen. Damit eine solche Restriktion nicht zu einer sofortigen Verletzung führt, gleichen drei Wirbelkörper davor und drei Wirbelkörper dahinter diese Fehlstellung aus. Das hat jedoch zur Folge, dass die Fehlstellung eines einzigen Wirbelkörpers sechs weitere Spinalnerven einschränkt und eine falsche (pathologische) Reflexantwort auslöst. Langfristig kann dieser Zustand fatale Auswirkungen auf das korrespondierende Organ haben, da dieses im Laufe der Zeit eine Insuffizienz entwickelt.
Je nachdem, wo an der Wirbelsäule sich eine solche Rotation entwickelt, werden unterschiedliche Problematiken ausgelöst. So kann z.B. eine Fehlstellung im Bereich der Halswirbelsäule auf Höhe des 5. und 6. Halswirbelkörpers (C5/6) einen Räusperreflex bis hin zu Räusperzwang auslösen, da hiervon die beiden den Kehlkopf innervierenden Nerven (N. vagus reccurens laryngeus und N. vagus reccurens pharyngeus) in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch ständiges Verschlucken beim Wassertrinken kann eine Folge sein.
Eine Fehlstellung beim Übergang von Halswirbelsäule zur Brustwirbelsäule kann zu Atemproblemen (Rippenkopfläsion) führen, eine Fehlstellung des 2. Brustwirbelkörpers zu Herzrhythmusstörungen.
Unter dem 6. Brustwirbelkörper befindet sich ein Ganglion (Nervenknoten), das im Verdacht steht, mitverantwortlich für epileptische Anfälle zu sein, sodass eine Wirbelkörperrotation in diesem Bereich besonders sensibel betrachtet werden muss.
Obwohl das Rückenmark auf Höhe des letzten Lendenwirbelkörpers, im Conus medullaris, endet, entlässt es dort eine Art Pferdeschwanz mit Nervenfasern (Cauda equina), die aus den Zwischenwirbellöchern der Lendenwirbelkörper austreten, um in die Peripherie zu ziehen. Daher kann es bei Rotationen der Lendenwirbelsäule zu vielfältigen Problemen, insbesondere zu wechselnden Kot- und Urinabsatzstörungen bis hin zur Inkontinenz kommen.
Betrachten wir die Mitte des Rückens eines Hundes, so blicken wir auf den antiklinalen Wirbelkörper. Bei diesem neigt sich der Dornfortsatz den anderen Dornfortsätzen entgegen. Seine Zwischenwirbellöcher bilden die Durchtrittsstelle des 10. Hirnnerven (N. vagus). Dieser ist an der Regulation fast aller Organe im Körper beteiligt, sodass eine Wirbelkörperfehlstellung in diesem Bereich weitreichende Folgen wie Atemprobleme, Lungenentzündung, Magendrehung und Darmverschlingung nach sich ziehen kann. Eine palpatorische Überprüfung der Wirbelsäule, eine akribische Anamnese und das Geschick des Therapeuten sind gefragt, um eine osteopathische Therapie erfolgreich durchzuführen. Aber natürlich ist die osteopathische Überprüfung auch eine prophylaktische Therapie zur Gesunderhaltung des Tieres.

OSTEOPATHISCHE ÜBERPRÜFUNG

Der Körper bietet uns viele anatomische Referenzpunkte, um eine Fehlstellung im Bereich der Wirbelsäule zu erkennen. Da sich eine derartige Problematik restriktiv auf andere Organe auswirkt, ist die Schmerzdiagnostik der erste Schritt einer osteopathischen Überprüfung. Liegt kein struktureller Schaden vor, lassen sich zahlreiche Erkrankungen des Körpers über die Wirbelsäule ertasten und behandeln.
Zum Beispiel besteht die Biomechanik der Wirbelsäule eines Hundes aus Flexion (Beugung), Extension (Streckung), Lateralflexion (seitliche Beugung) und einer bedingt eingeschränkten Rotation. Verschiedene Bänder und Gelenke sorgen für diese Einschränkung, um Verletzungen auszuschließen. Befindet sich ein Wirbelkörper zu seinen Nachbarwirbeln jedoch in einer Dysbalance (Blockade), kann der Spinalnerv, der aus dem zugehörigen Zwischenwirbelloch austritt, nur noch eingeschränkt arbeiten. Diese eingeschränkte Arbeit kann zu allen möglichen Restriktionen im korrespondierenden Gebiet führen. Entsprechend der Segmentalreflektorik kann dies nicht nur einen gestörten Lymphfluss, sondern auch muskuläre Verspannungen bewirken.
Die Dornfortsätze des Hundes lassen sich sehr gut palpieren. Dazu stellen wir den Hund mit gerader Wirbelsäule vor uns auf und überprüfen zunächst visuell, ob die Wirbelsäule gerade ist.
Dann tasten wir die Dornfortsätze ab, um ein eventuelles Abkippen an einer oder mehreren Stellen zu lokalisieren. Das Abkippen eines Dornfortsatzes bedeutet, dass auf der Seite der Neigung eine spinale Einschränkung herrscht. Diese kann so gering sein, dass der Hund keine Symptome hat. Sie kann aber auch so ausgeprägt sein, dass der Hund eine Schmerzreaktion beim Abtasten zeigt. Egal wie stark oder schwach die Problematik ist, behandelt werden sollte sie immer.

BEHANDLUNGSTECHNIKEN

Wir unterscheiden zwischen einer direkten und einer indirekten Technik, um den Wirbelkörper wieder in seine korrekte Lage zurückzuschieben. Durch das Öffnen der Foramia intervertebralia erreichen wir – sofern keine strukturelle Störung vorliegt – eine sofortige Linderung des Schmerzgeschehens, das der Hund dem Therapeuten durch Schütteln der Wirbelsäule quittiert. Ich bezeichne das immer als „Dankeschön“ des Hundes, und weiß dann, dass es ihm besser geht.

AUSBLICK

In einem späteren Teil, wenn wir dann die Cranio-Sacral-Therapie besprechen, erkläre ich, warum die Mobilisierung der Kopfgelenke und des Kreuzbeins (Sakrum) von großer Bedeutung ist, und wieso eine Blockade in diesem Bereich zu ständig wechselnden Kotund Urinabsatzstörungen führen kann. Bis dahin hoffe ich, dass ich Sie neugierig machen konnte auf diese sanfte und spannende Therapieform und die nächsten Artikel, und würde mich freuen, Sie in einem unserer Seminare oder Ausbildungen begrüßen zu dürfen. Geben Sie mir gerne Feedback, selbstverständlich beantworte ich alle Fragen, die Sie per E-Mail über die Paracelsus Schule Münster an mich richten.

OLAF MORRACK
TIERHEILPRAKTIKER

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Osteopathie und Physiotherapie für Hunde und Pferde, Arthrosebehandlung, Studienleiter der Paracelsus Schule Münster

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