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Verwölflichung: Wenn wir zuviel Wolf im Hund sehen

Foto: Klaussner - FotoliaAnthropomorphismus, Vermenschlichung, ein Begriff, den man als Hundehalter heutzutage öfter mal zu hören bekommt. Wir vermenschlichen unsere Hunde zu sehr, worauf unsere Vierbeiner sogar mit Verhaltensauffälligkeiten reagieren können, da nicht mehr in genügendem Maße auf natürliche Bedürfnisse eingegangen wird. Eine in meinen Augen gegensätzliche und doch sehr ähnliche Problematik, bei der der Hund in etwas gezwungen wird, was er nicht ist, scheint in letzter Zeit ebenfalls immer mehr in Mode zu kommen. Ich nenne dies: „Verwölflichung“.

In jedem Hund steckt ein Wolf

Viele Hundebesitzer, aber auch Hundetrainer betonen gerne, wie viel Wolf doch in ihrem Hund steckt, wie „ursprünglich“ und „unverfälscht“ er ist. Wenn man ihnen so zuhört, dann bekommt man den Eindruck, dass eigentlich alle unsere Hunde nur kunterbunte Wölfe sind. Die Wolfsforschung ist ohne Frage ungemein bedeutend für das Verstehen von Hunden und ich bin der Meinung, jeder, der daran interessiert ist, seine/ n Hund/e wirklich zu verstehen, kommt gar nicht drum herum, sich mit der Wolf- und Wildcanidenforschung auseinanderzusetzen. Immerhin hat sich der Hund aus dem Wolf entwickelt. Günther und Karin Blochs Buch „Timberwolf Yukon & Co. - Elf Jahre Verhaltensbeobachtungen an Wölfen in freier Wildbahn“ kann ich hierzu nur jedem ans Herz legen. Es hat mich selbst sehr beeindruckt und inspiriert.

Fehlersuche

Es sollte nicht der Fehler begangen werden, sich neuen Erkenntnissen zu verschließen oder „lernfaul“ zu werden. So ist es z. B. Fakt, dass immer noch viele Menschen dem lang gehegten Irrglauben verfallen sind, Wölfe würden in hierarchisch geführten Rudelstrukturen leben und das sog. Alphatier würde seine Stellung mit aggressiver Dominanz verteidigen. Diese Fehleinschätzung kam u. a. zustande, weil man früher nur wenige Möglichkeiten hatte, Wölfe in freier Wildbahn zu beobachten. Man fing relativ wahllos Tiere ein und setzte sie gemeinsam in ein Gehege. Oft waren es einander unbekannte Tiere auf einem Territorium, das zu klein war, um sich aus dem Weg gehen zu können.

Wildlebende Wölfe verbringen ihr Leben in Familienverbänden und der Umgang miteinander ist viel mehr von Fürsorge geprägt als von Dominanz und/oder Aggression. Zwar konnte beobachtet werden, dass die Häufigkeit, mit der ein Tier das Rudel z. B. bei Wanderungen anführt, unter den Mitgliedern variiert und häufig ein bestimmter Wolf (hauptsächlich ein Elterntier) heraussticht, dennoch gibt es keinen Alphawolf, der auf seinen Platz an der Spitze des Rudels bestehen würde oder seine Beute grundsätzlich für sich behält, bis er satt ist. Im Gegenteil konnte beobachtet werden, dass Rudel auch gerne gemeinsam fressen. Aus dem Irrglauben der hierarchischen Rudelstruktur unter Wölfen ist schnell der nächste Irrglaube entstanden: Sei deinem Hund gegenüber immer dominant, lass ihn nie an der Leine „führen“, denn das Alphatier geht immer voraus. Auch hier setzte man nun auf eine „hierarchische“ Führung. Es ist durchaus richtig, dass man in der Hundeerziehung ebenso liebevoll wie konsequent sein muss und es gibt Hunde, wie z. B. meinen eigenen Rüden Jumper, die einem schnell auf der Nase herumtanzen, wenn man ihnen die Chance dazu gibt. Sie testen ihre Grenzen immer wieder aus, sodass es wichtig ist, die Oberhand zu behalten, sich durchzusetzen und konsequent zu sein. Allerdings dürfen meine Hunde an der Leine dennoch vor mir laufen und sie dürfen (und hier mögen manchem Hundetrainer der alten Schule die Haare zu Berge stehen) sowohl auf meinem Sofa als auch in meinem Bett schlafen. Hunde sind Rudeltiere und Rudeltiere sind auch nachts nur ungern von ihrem Rudel getrennt.

Foto: Lane - FotoliaFamilienverband vs. Rudel

Im Gegensatz zu Wölfen leben Straßenhunde nicht in Familienverbänden, sondern in lockeren Rudeln, bestehend aus Einzeltieren, die sich finden und einander sympathisch sind, sich aber auch wieder voneinander lösen können. Dass Wölfe in Familienverbänden und nicht in Rudeln leben, mag u. a. damit zusammenhängen, dass ein Wolfspaar meist zusammenbleibt, bis ein Partner stirbt, oder in selteneren Fällen, bis die Fähe – aus welchen Gründen auch immer – keinen Nachwuchs mehr austragen kann. Unsere Hunde hingegen sind kleine „Casanovas“, die jede Gelegenheiten nutzen, eine läufige Hündin zu besteigen, während ein Wolfsrüde sich um Partnerin und Nachwuchs sorgt und so das Überleben seiner Gene sichert. Züchter werden mir hier vielleicht widersprechen und sagen, dass der Rüde sich sehr wohl um Hündin und Welpen kümmert, ich bin aber der Meinung, dass der Rüde, hätte er drei läufige Hündinnen vor sich, alle drei begatten würde, ohne sich anschließend um drei Partnerinnen und alle Welpen zu kümmern.

Unterschiedliche Entwicklung

Die Erkenntnisse, die man in der Wolfsforschung erlangt hat, kann man nicht eins zu eins auf den Hund übertragen. Auch wenn der DNACode von Wolf und Hund sich kaum voneinander unterscheiden, dürfen wir nicht vergessen, dass das Gehirnvolumen eines Hundes ca. 30 Prozent geringer ist als das eines Wolfes. Womit ich nicht sagen möchte, dass Hunde grundsätzlich dümmer sind als ihre wilden Verwandten, ihr Gehirn hat sich im Laufe der Entwicklung nur den neuen Lebensverhältnissen angepasst. In erster Linie hat sich der Bereich des Gehirns reduziert, der für Angst zuständig ist, denn ein Haushund hat weit weniger Gefahren zu fürchten als ein Wolf und muss vielen Umweltreizen ruhig und ausgeglichen begegnen, die für einen Wolf das Zeichen für Flucht darstellen. Dieses Schicksal teilen übrigens viele Haustierarten. Im Gegensatz zu ihren wilden Artgenossen und/oder Vorfahren verfügen sie über ein deutlich kleineres Gehirn. Die unterschiedliche Entwicklung von Wolf und Hund beginnt spätestens in der dritten Lebenswoche. Der Wolf muss sich nur auf seine eigene Art prägen, während der Hund sich gleichzeitig auch auf den Menschen als Sozialpartner prägen muss. Auch die körperliche Entwicklung weist Unterschiede auf: Wölfe werden deutlich später geschlechtsreif und eine Hündin wird zweimal im Jahr läufig, eine Fähe nur einmal. Alles in allem sind unsere Hunde viel „welpischer“. Wölfe verlieren ihren Spieltrieb mit den Jahren, Hunde spielen oft noch in hohem Alter und sind darauf gezüchtet, „kindlich“ zu bleiben. Die Tiere bilden außerdem unterschiedliche Kommunikationsfähigkeiten aus. Wölfe sind insbesondere in der optischen Kommunikation sehr differenziert und detailliert in Signalgebung und auch Signaldeutung. Sie bedienen sich viel weniger der akustischen Kommunikation. Hunde verfügen dem Wolf gegenüber über eine deutlich größere und nuanciertere Palette an Lautäußerungen. Bedingt durch den menschlichen Eingriff in die Natur durch züchterische Manipulation (z. B. langes Fell im Gesicht, kurze Schnauze, hervorquellende Augen usw.) und fehlgeleitetes menschliches Ästhetikverständnis, wie das Kupieren von Ohren und Rute oder das Stutzen oder gar völlige Abrasieren der Vibrissen (Barthaare), sind viele Hunde der Möglichkeit beraubt, eine ganze Reihe von Signalen zu geben oder zu deuten. Für sie ist die Kommunikation über Laute daher von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit. Und auch das Jagdverhalten zwischen den meisten Haushunden und ihren Verwandten, den Wölfen, weist deutliche Unterschiede auf. Caniden verfügen über mehrere „Jagdschritte“, die sie frei kombiniert und der Jagdsituation angepasst einsetzen können. Dazu gehören:

  1. Orientierung (optisch, geruchlich)
  2. Eye (Fixieren / Lauern)
  3. Hetzen / Mäuselsprung
  4. Packen
  5. Tötungsbiss / Totschütteln

Bei Hütehunden wurden durch z. B. züchterische Selektion der 2. und der 3. Punkt verstärkt, wohingegen die Punkte 4 und 5 reduziert wurden, da diese Eigenschaften unerwünscht waren. Das hat einerseits zu verlässlichen Arbeitshunden geführt, lässt bei einigen (oft unterforderten) Tieren allerdings Verhaltensstörungen auftreten, wie z. B. das zwanghafte Fixieren und evtl. auch Kneifen von sich bewegenden Füßen.
Für viele dieser Hunde ist es schwer, sich in einem Leben zurechtzufinden, in dem sie nicht für Hütearbeiten eingesetzt werden und auch keinen passenden Ausgleich dazu geboten bekommen. Darüber zu philosophieren, inwiefern es nun fair dem Tier gegenüber ist, es so zu züchten, dass es so fixiert auf die Aufgabe ist, für die es „geformt“ wurde und dass ein Leben ohne diese Aufgabe zu einer psychischen Belastung werden kann, würde an dieser Stelle zu weit führen, ist in meinen Augen aber eine durchaus interessante Thematik.
Wölfe jagen koordiniert und Energie einteilend, sie passen ihre Jagdstrategie den Umweltbedingungen an, testen die Beute aus und hetzen nur kurz, wenn keine Erfolgsaussichten bestehen. Außerdem verfügen sie über ein festes Beuteschema und schleichen sich zwar nicht wie Katzen an ihre Beute heran, verhalten sich aber ruhig und kommunizieren in erster Linie lautlos. Ein Haushund hat kein festes Beuteschema, Hasen und Rehe werden ebenso gejagt wie Vögel oder manchmal auch Jogger und Fahrradfahrer. Wenn gejagt wird, dann richtig. Keine Energieersparnis, keine leise Kommunikation und auch keine Erfolgsorientiertheit. Laut und kraftvoll wird gejagt.

Foto: Bergringfoto - FotoliaEng verwandt und doch so unterschiedlich

So eng verwandt Hund und Wolf auch sind, so muss ihr Verhalten doch differenziert betrachtet und gedeutet werden. Ich leugne nicht, dass natürlich in einigen hündischen Verhaltensweisen deutlich der Wolf durchscheint, allerdings ist es in meinen Augen falsch, beide Arten über einen Kamm zu scheren, wie es leider viel zu häufig gemacht wird. Der Hund stammt vom Wolf ab und ich möchte noch einmal die große Wichtigkeit der Wolfsforschung betonen, allerdings gibt es schon innerhalb der einzelnen Hunderassen so viele Unterschiede in den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Veranlagungen, dass man nie von einer Rasse auf eine andere schließen sollte und auch nicht eins zu eins vom Wolf auf den Hund. Auch sollten wir nie vergessen, egal ob Hundebesitzer, Hundetrainer, Tierheilpraktiker, Tierarzt oder einfach nur Hundeliebhaber und ganz unabhängig von Rassehund oder Mischling, jeder Hund hat seine ganz individuellen Bedürfnisse und es liegt an uns, diese herauszufinden und verstehen zu lernen. Ein weiterer Buchvorschlag, den ich Ihnen gerne noch hierzu mit auf den Weg geben würde, ist „Hundeverhalten – Mimik, Körpersprache und Verständigung" von Barbara Handelman. In diesem Sinne, denken Sie immer daran: Man lernt nie aus.

DANIELA PEUKERT DANIELA PEUKERT
TIERHEILPRAKTIKERIN i. A.,
HUNDEVERHALTENSBERATERIN i. A., DOGWALKERIN

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TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE:

  • Hunde mit Aggressionsproblemen

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