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Hundeerziehung: Der Leinendruck und seine Folgen

Leider sehe ich immer wieder Hunde, die an der Leine ziehen oder die durch den Besitzer über die Leine zurückgezogen werden. Und ich sehe auch ständig Hunde, die an einem Halsband mit Schleppleine geführt werden. All diese Szenarien können negative gesundheitliche Folgen für unseren Hund haben. Über 90 Prozent aller Probleme der Halswirbelsäule beruhen auf einem Leinenruck und wären somit vermeidbar.

WELCHE FOLGEN KANN EIN LEINENRUCK HABEN?

Die gesundheitlichen Auswirkungen eines kleinen Rucks an der Leine sind enorm, denn die Halsmuskulatur unserer Hunde ist meist nicht so stark ausgeprägt, dass sie einen solchen Zug ausgleichen kann. Am vorderen Teil des Halses drückt das Halsband bei einem Ruck oder bei Zug auf den Kehlkopf, sodass es zu Quetschungen mit Einblutungen, Verletzungen des Kehldeckels oder zu Nervenschädigungen können kommen kann. Der Zug kann außerdem zu Würgereiz oder Atemnot führen. Im Bereich der Halswirbelsäule kann ein Bandscheibenvorfall, meist auf Höhe des 3. Halswirbelkörpers, ausgelöst werden, oder der Wirbel subluxiert und übt Druck auf das Rückenmark aus, sodass Nervenfunktionen negativ beeinträchtigt werden. Will der Hund dem Ruck standhalten, muss er seine Muskulatur im Hals extrem anspannen, was in der Folge oft zu Nackenverspannungen und Rückenschmerzen führt. Auch eine Blockade der Halswirbelkörper oder Quetschung der Hauptschlagader sind möglich, wodurch der Sauerstofftransport zum Gehirn gestört wird, was Schwindelgefühle und Kopfschmerzen bewirkt.

Eine weitere Folge kann der Anstieg des Augeninnendrucks sein, der langfristig zum Glaukom (Grüner Star) führt. Spätfolgen können Arthrosen und Spondylosen sein.
Extreme Kräfte entstehen, wenn der Hund an der Schlepp- oder Flexileine am Halsband angeleint einen Sprung ausführt. Daher sollte von der Kombination Halsband plus Flexi- oder Schleppleine unbedingt abgeraten werden.
Ich rate meinen Kunden immer zu einem gut sitzenden Geschirr, weil sich damit die Kraft bei einem Zug an der Leine auf eine größere Fläche verteilt und der Hund dadurch den Ruck besser ausgleichen kann. Das Geschirr sollte optimal sitzen und nicht rutschen, damit es die Bewegungen des Hundes nicht einschränkt. Bei mittelgroßen Hunden sollte eine Handbreit Luft zwischen Schulter und Geschirr zu fühlen sein, bei kleinen Hunden etwa eine Breite von drei Fingern. Liegt das Geschirr direkt der Achsel an, kann der Plexus brachialis irritiert und somit die Nervenfunktion beeinträchtigt werden. Auch sollte das Geschirr gut gepolstert sein, um den Hund nicht einzuschneiden.
Wenn der Hundebsitzer trotzdem auf ein Halsband besteht, hat er darauf zu achten, dass dies möglichst breit ist, um hier wirkende Kräfte besser zu verteilen. Schmale Halsbänder und Kettenhalsbänder schneiden beim Zug an der Leine zusätzlich ein und verursachen Schmerzen.
Besonders bei Hunden, die prädisponiert für Bandscheidenvorfälle oder andere Rückenproblematiken sind, z.B. Deutsche Dogge, Schäferhund und Dackel, sehe ich den Leinenruck als sehr kritisch an.
Viele Hunde, die in meine Praxis kommen, leiden unter den Folgen eines Leinenrucks, und meist ist es dann nicht mit einer einzigen Behandlung getan. Oft haben sich die Probleme über Jahre manifestiert, bevor den Besitzern etwas auffällt. Und zaubern können auch wir nicht, sodass diese Hunde häufig zu Stammkunden werden, obwohl das Problem hätte vermieden werden können.
Mit diesem Artikel möchte ich aufklären, denn die Auswirkungen des Rucks an der Leine sind meist größer, als wir denken, und man kann die in der Folge auftretenden Beschwerden ganz leicht verhindern, wenn man auf das Rucken verzichtet oder ein Brustgeschirr statt eines Halsbandes benutzt.

FALLBEISPIEL

Paul, ein 7 Jahre alter Mix, ist seit einiger Zeit Stammkunde bei mir in der Praxis. Sein Frauchen rief mich an, da sie feststellte, dass Paul eine angespannte Nackenmuskulatur hat, seinen Kopf schief hält und eine Lahmheit in der rechten, vorderen Extremität beobachtete. Nachdem sie alles bei einem Tierarzt abklären lassen hatte, stand der Verdacht eines leichten Bandscheibenvorfalls im Bereich der Halswirbelsäule im Raum. Der Tierarzt riet ihr zu einer Physiotherapie, Schmerzmitteln und einem guten Brustgeschirr.
Als Paul zu unserem Ersttermin erschien, hatte er ein schmales Halsband um und war angeleint. Er wollte am liebsten allen und jedem „Hallo!“ sagen. Sein Muskeltonus war beidseits der Halswirbelsäule stark erhöht. Eine aussagekräftige Gangbildanalyse war aufgrund seines Zugs an der Leine kaum möglich. Bei der Bewegungsüberprüfung war die Flexion (Beugung) sowie die Lateralflexion (seitliches Beugen) des Kopfes beidseits stark eingeschränkt. Die Besitzerin gab an, dass Paul sich oft das rechte Vorderpfötchen leckt.
Nachdem wir die Muskulatur von Paul etwas entspannt hatten, zeigte ich ihr einige Übungen, die sie als Hausaufgabe mit Paul durchführen sollte. Paul kam anfangs wegen der starken Muskelverspannungen zweimal wöchentlich zu mir, später nur noch einmal pro Woche. Ich führte mit der Besitzerin ein intensives Beratungsgespräch, um sie davon zu überzeugen, ein passendes Geschirr für Paul zu kaufen und das schmale Halsband auszurangieren. Wir unterstützten Paul zusätzlich mit Teufelskralle, Weidenrinde und Weihrauch, und die Besitzerin besuchte mit Paul parallel eine Hundeschule, um ihm das Ziehen an der Leine abzugewöhnen. Das ist mittlerweile gelungen und seine Lahmheit ist verschwunden, seine Muskulatur entspannter, Flexion und Lateralflexion sind wieder möglich, den Kopf hält er wieder gerade, und an seinem Pfötchen leckt er auch nicht mehr. Jetzt kommt Paul nur noch einmal im Monat für einen präventiven Check-up zu mir.

So gut wie bei Paul endet die Leinenruck-Problematik aber leider nicht immer. Viele Hunde, die einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule davontragen, müssen operiert werden und haben zum Teil ihr Leben lang Probleme.

VERENA TEIWES
TIERHEILPRAKTIKERIN
HUNDEPHYSIOTHERAPEUTIN

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Hundephysiotherapie, Ernährungs und BARF-Beratung für Hunde, Homöopathie und Naturheilkunde

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