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Serie: Tierosteopathie - Teil 4: Craniosakrale Therapie beim Hund

GESCHICHTLICHES

Die Craniosakrale Therapie ist eine tiefgreifende Körperarbeit, die auf allen Ebenen des menschlichen Seins ausgleichend und harmonisierend wirkt. Sie ist eine komplementärmedizinische, manuelle Behandlungsform, die ihre Ursprünge in der Osteopathie hat. Begründet wurde die Craniosakrale Osteopathie von William Garner Sutherland (1873 – 1954), einem amerikanischen Arzt. Er war ein Schüler Andrew Taylor Stills (1828 – 1917), dem Begründer der Osteopathie. Der Name „Craniosakrale Therapie“ wurde in den 1970er-Jahren vom amerikanischen Osteopathen Dr. John E. Upledger (1931 – 2012) geprägt.

CRANIALER UND SAKRALER POL

Die Craniale Osteopathie hat sich als eine eigenständige Therapieform innerhalb der Osteopathie entwickelt. Dabei ist sie im eigentlichen Sinne keine Therapieform und soll auch als solche nicht allein angewendet werden.
Sutherland, der maßgeblich die Craniosakrale Therapieform entwickelte, beschrieb sie wie folgt: Die 102 Schädelknochen sind über die Schädelnähte (Sutura) beweglich. Die Bewegungen kommen von der Fluktuation der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (Liquor). Die Verbindung geht aus vom Schädel über das Rückenmark bis zum Kreuzbein (Sakrum). Upledger fiel bei Operationen eine Bewegung der Hirnhäute auf und konnte somit die Existenz des craniosakralen Rhythmus beweisen. Bei der Behandlung der Strukturen kommt es zur Erinnerung des Gewebes und somit zur Befreiung der körperlichen Struktur. Die Selbstheilungskräfte werden aktiviert. Das Wort „cranial“ bezieht sich dabei auf das Cranium (Schädel) als oberen Pol des craniosakralen Systems, das Wort „sakral“ auf das Sakrum (Kreuzbein) als unteren Pol. Diese beiden Pole bewegen sich synchron zueinander und folgen damit einer Eigenbewegung, die nicht identisch ist mit dem Blut- oder dem Atemrhythmus.

DAS CRANIOSAKRALE SYSTEM

Wie wir bereits im Artikel zur Parietalen Osteopathie erfahren haben, verlassen immer zwischen den Wirbelkörpern der Wirbelsäule zu beiden Seiten Spinalnerven das Rückenmark durch die Zwischenwirbellöcher (Foramina intervertebralia). Diese werden durch eine Dura-Aussackung (Dura mater = äußerste Hirnhaut, die sich entlang der Schädelknochen und der knöchernen Strukturen des Rückenmarkkanals erstreckt) vor Restriktionen durch Wirbelrotationen geschützt. Die aus dem Rückenmark austretenden Spinalnerven bestehen aus vier verschiedenen Ästen: dem Ramus dorsalis (hinterer Ast), dem Ramus ventralis (bauchseitiger Ast), dem Ramus meningeus (Hirnhäute versorgender Ast) und dem Ramus communicantes (Verbindungsast zwischen Spinalnerv und Grenzstrang). Da die Dura mater über beide Hirnhälften zieht und kaudal in der Fascia sacralis unter dem Sakrum endet, bedeutet das, dass jede einzelne Fehlrotation eines Wirbelkörpers zu einer negativen Beeinflussung des Spinalnervens führt und dieser seine Aufgaben nur eingeschränkt durchführen kann. Jeder Spinalnerv hat seine Aufgaben im Körper und teilt diese Informationen auch mit anderen Nerven, die ebenfalls eingeschränkt (restriktiv) arbeiten können. Die Craniosakrale Therapie soll helfen, diese Einschränkungen zu erspüren und wieder aufzulösen. Die Eigenbewegung des craniosakralen Rhythmus soll als Schutzmechanismus des Körpers dafür sorgen, dass Restriktionen vom Körper selbst (Selbstheilungskräfte) korrigiert werden können. Alles, was an dieser Eigenbewegung teilnimmt, gilt als craniosakrales System. Letzteres folgt der Bewegung des Zentralnervensystems und seiner umhüllenden Strukturen. Der 10. Hirnnerv (Nervus vagus) ist u. a. zuständig für die Gefühlslage und die Emotionen. Daraus erklärt sich, dass durch die Craniosakrale Therapie auch Depressionen und andere seelische Störungen des Körpers behandelt werden können. Die Craniosakrale Therapie ertastet, welche Regionen des Körpers sich im craniosakralen Rhythmus bewegen und welche blockiert sind. Dabei ist der craniosakrale Rhythmus am Schädel (Zusammenziehen und Ausdehnen), am Sakrum (Nutation und Kontranutation), aber auch am Rumpf und an den Extremitäten (Supination und Pronation) zu spüren. Ziel der Craniosakralen Therapie ist die Wiederherstellung eines in allen Körperteilen fühlbaren craniosakralen Rhythmus und die physiologische Beweglichkeit aller dafür nötigen Knochen und Gelenke. Diese Knochen und Gelenke sind vor allem die Schädelknochen, die Iliosakralgelenke und die Wirbelsäule.

DAS CRANIOSAKRALE SYSTEM

  • nimmt Einfluss auf Gehirn, Gehirnnerven und Rückenmark
  • ist zuständig für die Reizaufnahme
  • funktioniert als Drainage für den Schädel
  • beeinflusst Leistungsbereitschaft, Hormonsystem (Hypophyse) und Psyche
  • sorgt für eine schmerzfreie Beweglichkeit

STÖRUNGEN DES CRANIOSAKRALEN SYSTEMS KÖNNEN UMFASSENDE PROBLEME HERVORRUFEN

Im Bereich des Schädels setzt sich die Dura mater als Epineurium (verbindet einen Nerv verschieblich mit dem umgebenden Gewebe) auf die austretenden Hirnnerven fort. So begleitet die Dura mater folgende Hirnnerven:

  • N. hypoglossus bis zum Condylus occipitalis
  • N. vagus, N. accessorius und N. glossopharyngeus bis zum Foramen jugulare
  • N. fascialis und N. vestibulocochlearis bis in den inneren Gehörgang
  • N. mandibularis bis zum Foramen rotundum (kreisförmige Öffnung des Os sphenoidale)
  • Nn. olfactorii bis in die Nasennebenhöhlen
  • N. opticus

FALLBEISPIEL

Luna, eine kleine zweijährige Schäferhündin, hatte über Monate hinweg ständig wechselnde Kotabsatzstörungen, die nicht ernährungsbedingt waren. Bei der craniosakralen Behandlung fiel auf, dass die Spinalnerven in der Lendenwirbelsäule fast alle restriktiv – also eingeschränkt – arbeiteten. Nach der Mobilisierung der Kopfgelenke und des Kreuzbeins normalisierte sich der Kotabsatz innerhalb von zwei Tagen. Im nächsten Teil stelle ich Ihnen spannende Fallstudien der osteopathischen Behandlung am Tier vor.

OLAF MORRACK
TIERHEILPRAKTIKER

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Osteopathie und Physiotherapie für Hunde und Pferde, Arthrosebehandlung, Studienleiter der Paracelsus Schule Münster

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Foto: © M. Jucha – Adobe, © K. Thalhofer – Adobe