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Angst und Nervosität beim Turnierpferd: Fallbericht

201604 Angst1Erstkontakt

Ich wurde zu einem Nachwuchs-Dressurpferd gerufen, das sehr gute Anlagen für die Dressur zeigte, aber seine Leistungen auf Turnieren bisher nicht erbringen konnte. In ungewohnter Umgebung war es nervös, ängstlich und konnte sich nicht konzentrieren. Bei Wind war der Wallach fast gar nicht reitbar, auch auf seinen Außenpaddock ging er nur zögerlich. Er war verspannt und sehr guckig. Laute Geräusche, flatternde Fahnen, sogar Blumenkübel am Viereck brachten ihn völlig aus dem Konzept.

201604 Angst2Es handelte sich um einen 6-jährigen Warmblüter mit Stockmaß 1,83 m und wenig Selbstvertrauen. Ausritte waren nur mit einem erfahrenen Pferdekollegen möglich, blieben trotzdem nervenaufreibend. Bei meinem ersten Besuch fand ich ein verspanntes und nervös zuckendes Pferd vor, das mich mit großen Augen fixierte und jede meiner Bewegungen genau verfolgte. Es war etwas zappelig und berührungsempfindlich, aber genoss die ruhigen und ausstreichenden Handberührungen meinerseits. Die Mähne war dünn, der Schopf fast nicht vorhanden, das Fell etwas stumpf, die Erscheinung eher unscheinbar. Die Gelenke waren groß, das Hufhorn etwas brüchig. Die Schleimhäute blass, die Zunge dünn und unruhig und an der Spitze leicht rötlich. Die Untersuchung der Rücken-Shu-Punkte ergab Empfindlichkeiten bei Herz (Xin), Blut/Zwerchfell (Ge), Leber (Gan), Milz (Pi), Magen (Wei) und Niere (Shen). Diese sensible Reaktion lässt auch auf Verspannungen im Rücken schließen, was bei der Nervosität dieses Pferdes kein Zufall wäre. Der Sattel wurde durch einen Sattler gecheckt und ergab eine gute Passform. Die Muskulatur war allgemein gut trainiert, der Aufbau harmonisch.

Untersuchung

Die Palpation der Extremitäten gestaltete sich schwierig bis unmöglich. Sobald ich ein Bein abwärts Ellenbogen oder Knie berührte, zog er es ruckartig nach oben. Besonders die Vorderbeine konnte ich nicht anfassen. So etwas beobachtet man auch bei funktionellen Herzerkrankungen, und ich bat die Besitzerin, beim nächsten Check durch den Tierarzt das Herz untersuchen zu lassen. Bei meiner Auskultation konnte ich nichts feststellen.

Diagnose

Meine Diagnose lautete: Innerer Wind durch Blut(Xue)-Mangel mit allgemeiner Yin-Schwäche. Entstanden vermutlich durch ererbte Jing-Schwäche (Essenz-Mangel, fehlende Ur-Energie) und Überlastung im Training.

Innerer Wind

Xue, das in der TCM mit Blut gleichgesetzt wird, ist eine Yin-Substanz. Es versorgt alle Organe, befeuchtet die Muskulatur, kühlt den Körper und beruhigt den Geist im Herzen. Sind Xue und Yin im Mangel, ist die Harmonie gestört, der Körper ist unruhig und es kommt zu Angst und Schreckhaftigkeit. Xue fließt in den Gefäßen. Ist es unzureichend vorhanden, kann innerer Wind entstehen. Man kann es sich so vorstellen, dass in den leeren Blutbahnen Durchzug herrscht. Ein Xue-Mangel ist nicht unbedingt mit Blutmangel oder Anämie zu vergleichen, Xue ist in der chinesischen Medizin viel mehr als nur Blut im westlichen Sinn! Dieser „Durchzug“ wird innerer Wind genannt. Bei diesem Warmblut gut an der zittrigen und dünnen Zunge, der Berührungsempfindlichkeit, der Unruhe mit kurzen Zuckungen, der Nervosität bei neuen Situationen und der Unreitbarkeit bei Wind zu erkennen. Wind als störender Faktor wird eigentlich der Leber zugeordnet. Entsteht aber Wind im Inneren, kann die Ursache auch mangelndes Herz-, Milz- und Nieren-Yin sein und daraus resultierender Blutmangel. Die rote Zungenspitze zeigt einen Herz-Yin-Mangel an. Dieses Zungenareal wird dem Funktionskreis Herz zugeordnet. Die rötliche Verfärbung dort zeigt einen Yin-Mangel, auch hier als „Leere-Hitze“ zu verstehen: Das mangelnde Blut kann das Herz nicht kühlen, es kommt zu überschießenden Reaktionen, der Geist des Herzens ist nicht kontrollierbar.

Yang-Punkte

201604 Angst3Da sich das Warmblut partout nicht an den Beinen anfassen bzw. akupunktieren ließ, konnte ich meine sonst bevorzugte Akupunktur über die antiken Punkte zunächst nicht durchführen. Also beschloss ich, die Zustimmungspunkte auf dem Rücken zu nadeln. Laut TCM behandelt man auf diese Weise das Yin über die Yang-Punkte (Yang deshalb, weil die Oberseite eines Körpers zum Yang gehört, die Unterseite zum Yin). Damit konnte sich der Wallach anfreunden, und nach den ersten Nadeln begann er leicht abzukauen. Ich war sehr zufrieden, für ihn war das eine Entspannungsreaktion, mit der ich fast gar nicht gerechnet hätte. Folgende Punkte wählte ich aus: Blase 12 als Vertreiber des Windes, Blase 17 als Meisterpunkt des Blutes, Blase 20 als Zustimmungspunkt der Milz, die wesentlich an der Blutbildung beteiligt ist, und Blase 23 als Zustimmungspunkt der Niere, da die Emotion der Niere die Angst ist, dieser Punkt die Nieren stärkt und den Verstand klärt. Nach der Entspannungsreaktion konnte ich auch den Punkt Gallenblase 34 akupunktieren, der Meisterpunkt der Sehnen und Bänder, sehr hilfreich bei Verspannungen und innerem Wind. Zum Ausgleich sollten immer auch Yin-Punkte genadelt werden, und daher war ich etwas besorgt, da ich nur Punkte auf den Yang-Meridianen gewählt hatte. Aber das Abkauen, ruhige und entspannte Stehen des Wallachs beruhigten meine Zweifel.

Fütterung

Ich empfahl der Besitzerin. deutlich mehr Heu zur Verfügung zu stellen, zeigte der Wallach doch auch Empfindlichkeiten des Magens. Außerdem wollte ich einer Gastritis durch Stress und fehlendem Raufutter vorbeugen. Die sonstige Fütterung war meiner Meinung nach leistungsangepasst, die Mineralisierung ausreichend. Des Weiteren riet ich zur chinesischen Kräutermischung „Pi Qi Xu“, die u.a. Süßholz, Minze und Fenchel enthält. Alles Kräuter, die die „Mitte“ und damit den Magen und die Milz nähren. Außerdem Bockshornklee, der die Nieren und den Rücken stärken sollte. Der Wallach erhielt von mir eine einmalige Gabe Calcium phosphoricum in der Potenz D200.

Zweitkontakt

Bei meinem zweiten Besuch nach 2 Wochen freute sich der Wallach, mich zu sehen. Leise blubberte er mich an. Die Schleimhäute waren nicht mehr ganz so blass, der Rücken nicht mehr so empfindlich. Er ließ eine Massage der gesamten Muskulatur zu, auch die Beine konnte ich vorsichtig anfassen, nur schnell bewegen durfte ich mich nicht, und bei ständigem ruhigem Zureden konnte ich endlich die antiken Punkte an den Beinen akupunktieren. Ich wählte folgende Punkte aus: Pericard 6 links als Öffner des Yin Wei Mai, der oft bei Angst, Unruhe und Blutmangel gestört ist, und den Ankopplungspunkt Milz 4 rechts. Zusätzlich Niere 3 als Erdpunkt, der die Nieren, das Yin und die Essenz stärkt, und San Jiao 6, um weiterhin Wind zu vertreiben und das Leber-Qi zu regulieren. Der Wallach entspannte sich sehr und gähnte. Da die Akupunktur aus Platzgründen auf der Stallgasse unter dem Solarium stattfand, schlief er während der Behandlung ein. Der Tierarzt, der kurz nach meinem ersten Besuch da war, konnte nichts am Herzen feststellen und auch das angeforderte große Blutbild war ohne Befund. Einzig der CK-Wert (Muskelwert) war erhöht. Ich riet der Besitzerin zu MSM, das hilfreich bei Verspannungen und Schmerzen der Muskulatur sein kann. Zusätzlich nadelte ich Blase 21, den Zustimmungspunkt des Magens, der auch die Lumbalregion stärkt, und Blase 30 auf der anderen Seite, der ebenfalls den unteren Rücken stärkt.

Verlauf

201604 Angst4Nach Wochen rief mich die Besitzerin freudig an und berichtete von einer Schleife, die der Wallach auf einer Dressurpferdeprüfung gewinnen konnte. Es war zwar immer noch nervenaufreibend, aber der Wallach war besser zu kontrollieren und machte nur einen kleinen Patzer, als ein Zuschauer laut niesen musste.

Im Winter erneuter Anruf, der Wallach sei wieder nervös und ängstlich. In der Halle, in der trainiert wurde, gab es Renovierungsarbeiten und sein langjähriger Boxennachbar war leider umgezogen. Zu viel für den Wallach, der eindeutig dem Element Wasser zuzuordnen ist. Änderungen im Tagesablauf, die Kälte und Nässe des Winters und der Verlust eines Freundes brachten ihn um seine vor kurzem gewonnene Harmonie. Ich wiederholte die Behandlung, zusätzlich nadelte ich Lunge 3, einen Punkt, der bei Trauer hilft, und Niere 7, um den Körper zu wärmen und das Nieren-Yang zu stärken. Da er morgens schwerfällig und verspannt war, die Gelenke manchmal knackten und der Rücken sich im hinteren Bereich etwas kühl anfühlte, verschrieb ich die Kräutermischung „Shen Yang Xu“, die die Nieren-Energie stärkt und damit Knochen und Muskeln geschmeidig hält. Die Besitzerin sollte ihn länger warmreiten und nochmals die Heuration erhöhen. Auch die Nierendecke half ihm deutlich.

Ich besuchte den Wallach regelmäßig ein- bis zweimal im Winter, um seine Nierenenergie zu stärken, die zu dieser Jahreszeit deutlich gefordert ist. Er entwickelte sich gut. Ein besonnener und ruhiger Reiter ist für ein „Wasser-Pferd“ von großer Bedeutung. Auf der guten Vertrauensbasis zu seiner Besitzerin kann er sein Können auch in fremder Umgebung zeigen, der Magen bleibt allerdings ein Thema, da sich Stress hier sofort niederschlägt. „In der Mitte wird das Blut gemacht“, für einen nervösen Patienten ist ein ruhiger Magen daher von enormer Wichtigkeit.

DIANA TIEBESDIANA TIEBES

TIERHEILPRAKTIKERIN
MOBILE TIERHEILPRAXIS FÜR HUNDE UND PFERDE  IN ESSEN


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