Serie: Unsere Tiere und ihre G´schichterl
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Die Auffangstation für Reptilien in München kümmert sich schon lange nicht mehr nur um wechselwarme Tiere wie Reptilien, Amphibien, Fische und Invertebraten, sondern seit einigen Jahren auch um exotische Säugetiere. In dieser Serie möchten wir Ihnen unsere Tiere und die verschiedenen Tierarten, um die wir uns bemühen, vorstellen und näherbringen. Jedes unserer Tiere hat eine Geschichte hinter sich, die wir hier mit Ihnen teilen wollen.
Invasiv und in Europa unerwünscht: Unser Waschbär-Senior Dobby
Vor drei Jahren wurden wir um Hilfe gebeten, weil der kleine Tierpark Burg Stargard schließen musste, nachdem die Stadt das Grundstück benötigte. Neben ein paar Reptilien, einem Nordluchs und einer uralten männlichen Europäischen Wildkatze brauchten auch ein alter Waschbär und sein Lebensgefährte, ein Marderhund, ein neues Zuhause. Wegen seiner für Waschbären untypischen BeinaheSchlappohren tauften wir ihn Dobby. Dobby fand und findet Artgenossen alles andere als unterhaltsam, sein einziger Freund war über mehr als zehn Jahre der Marderhund, der leider kurze Zeit, nachdem wir die beiden aufgenommen hatten, an Altersschwäche starb. Deswegen lebt Dobby heute als Einzelgänger, wie viele alte Waschbären-Männchen, und genießt sein großzügiges Freigehege. Seine anfänglichen Zahnprobleme hat er inzwischen überstanden, er hat ordentlich an Gewicht zugelegt und ist ein liebenswert verschroben-grummeliger, genauso braver wie launischer Waschbär-Senior, der motzend das Weite sucht, wenn er keine Lust mehr auf menschliche Gesellschaft hat. Aufgrund seines hohen Alters versuchen wir nicht mehr Dobby weiterzuvermitteln, sondern lassen ihn bei uns sein Gnadenbrot erhalten. Die Weitervermittlung von Waschbären ist allerdings ohnehin problematisch: Waschbären stehen in der EU leider auf der Liste der invasiven Arten und unterliegen der EU-Verordnung Nr. 1143/2014 über „Invasive gebietsfremde Arten von unionsweiter Bedeutung“ bzw. ihrer Durchführungsverordnung 2016/1141.
Streng genommen dürfen Tierarten, die auf dieser Liste geführt sind, nicht mehr gehalten, importiert, gehandelt, gezüchtet, transportiert, aufgenommen oder aufgezogen werden, weder von Privathaltern noch von Zoos, Tierheimen oder Auffangstationen (die hier vom Gesetz wie Gewerbetreibende behandelt werden). Man darf mit ihnen nicht züchten, sie weder bei sich aufnehmen, auch nicht als Vermittlungstiere, noch transportieren. Selbst sozialen Tieren, denen ihr Partner gestorben ist, darf man nach deutscher Auslegung der Verordnung keine neuen Artgenossen zuführen (Nachstellverbot). Auf dieser Liste stehen viele Tiere, um die sich die Auffangstation für Reptilien, München e.V. kümmert, nicht nur der Waschbär, sondern auch der Südamerikanische Nasenbär, das Muntjak, verschiedene Krebsarten, Amerikanische Schmuckschildkröten (Trachemys spp.) u.v.a.
Der Waschbär ist in Deutschland allerdings längst als wildlebende Art etabliert. Deshalb sollten laut Gesetz Managementmaßnahmen greifen dürfen, z.B. das Weitervermitteln von Tieren aus Auffangstationen in geschützte, ausbruchsichere Anlagen, sei es an Privathalter oder Zoos. Diese sind jedoch zu Recht mit entsprechend zu gewährleistenden Auflagen belegt, die ein Entkommen in die Natur sowie Fortpflanzung verhindern sollen. Leider wird die Publikation der Managementmaßnahmen von Seiten des Gesetzgebers hinausgezögert, sodass alle Stationen, die diese Tiere aufnehmen und weitervermitteln, sich in einem tiefdunkelgrauen Bereich der Legalität bewegen, normalerweise allerdings so wie wir mit Wissen und offizieller Duldung der Behörden. Seit dem Inkrafttreten der EU-Verordnung versucht die Auffangstation für Reptilien, München mit allen legalen Mitteln eine Klärung herbeizuführen, wie das Problem der sog. invasiven Arten insbesondere für Tierheime und Auffangstationen, aber auch für potenzielle Tierübernehmer auf tierschutzgerechte Weise angegangen werden kann.
Neben der Problematik des grundsätzlichen Nachstellverbots selbst bei hochsozialen Tieren besteht nach wie vor ein babylonisches Wirrwarr bezüglich der Verordnung, ihrer Umsetzung in das Bundesnaturschutzgesetz und in Bezug auf die Managementmaßnahmen. Darüber hinaus sollen auch etablierte Arten wie Waschbär, Bisam, Nilgans, Amerikanischer Flusskrebs u.v.a. in der „Natur“ eingedämmt und ausgedünnt werden. Hierfür können tödliche und nicht tödliche Maßnahmen ergriffen werden, zu Deutsch: Es soll nachhaltig bejagt bzw. bei nicht jagdbaren Arten „entnommen“ werden. Noch vollkommen unklar ist dabei jedoch, ob es z.B. Schonzeiten sowie Führ- und Setzzeiten, also Ruhephasen während der Jungenaufzucht, geben soll. Wenn nicht, werden Mütter von säugenden oder noch nicht selbstständigen Jungtieren ebenso geschossen wie nicht führende Erwachsene. Viele der vorgeschlagenen Managementmaßnahmen würden in direktem Widerspruch zu geltendem deutschen Tierschutzrecht stehen. Für Waschbären durften wir diesbezüglich schon erste Erfolge erzielen und legal Tiere in andere Haltungen weitervermitteln. Allerdings scheint auch hier jeder Verwaltungsbezirk bzw. jedes Landratsamt eine andere Lesart zu haben. Es ist zu hoffen, dass auch für die anderen betroffenen Tierarten eine tierschutzgerechte Lösung gefunden wird, denn momentan bleibt für Arten, die in Deutschland nicht verbreitet und „etabliert“ sind, wie Muntjak oder Nasenbär, theoretisch keine Lösung außer der Tötung. Hier werden wir nicht mitmachen, sondern ggf. gerichtliche Entscheidungen fordern.
DR. MARKUS BAUR
FACHTIERARZT FÜR REPTILIEN
LEITER DER AUFFANGSTATION FÜR REPTILIEN, MÜNCHEN E. V.
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