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Kaninchen: Pathologische Zahn- und Kiefererkrankungen

Zahnkaninchen, auch „Zahnis“ genannt, sind Kaninchen, die pathologische Zahn- und Kiefererkrankungen haben und einer regelmäßigen Zahnpflege bedürfen. Aber woher kommen die doch recht häufigen Zahnprobleme bei Kaninchen? Um dem auf den Grund zu gehen, muss man sich die Anatomie des Kaninchenschädels anschauen.

PATHOLOGISCHE ZAHN- UND KIEFERERKRANKUNG EINES KANINCHENS
© B. Baltes

ANATOMIE

Kaninchen gehören zur Gattung der Lagomorpha, der Hasenartigen, und unterscheiden sich damit von der Gattung der Rodentia (Nagetiere).
Die Zähne von Kaninchen (lat. Oryctolagus cuniculi) sind elodont, sie wachsen ständig nach. Sie sind in gesundem Zustand reinweiß, haben eine offene Wurzel und die oberen Schneidezähne weisen eine Längsfurche auf. Sollten diese Querrillen aufweisen, ist das ein Zeichen für eine Erkrankung.
Der Zahnwechsel vom Milchzahngebiss zum Erwachsenengebiss erfolgt im Alter von etwa 4 – 5 Wochen. Zahnformel des bleibenden Gebisses:
Oberkiefer: 2I 0C 3P 3M | Unterkiefer: 1I 0C 2P 3M Ein erwachsendes Kaninchen hat also 28 Zähne.
Im Oberkiefer auf jeder Seite 2 Incisivi (Schneidezähne), keine Canini (Eckzähne), 3 Prämolare (vordere Backenzähne) und 3 Molare (hintere Backenzähne). Die Besonderheit bei Kaninchen und allen Hasenartigen sind die Stiftzähne, ein zweites Paar kleine Schneidezähne, die hinter den vorderen Schneidezähnen liegen. Im Unterkiefer haben Kaninchen auf jeder Seite 1 Incisivus, keinen Caninus, 2 Prämolare und 3 Molare.
Die Zähne der Kaninchen haben einen offenen Zahnkanal und wachsen pro Woche ca. 2 – 3,5 mm, was im Monat in etwa 1 cm ergibt. Wobei die Schneidezähne etwas schneller wachsen als die Backenzähne.
Es ist also von entscheidender Bedeutung für ein gesundes Zahnwachstum, dass sich die Zähne physiologisch abnutzen können.
Die Abnutzung entsteht bei einem gesunden Kaninchen automatisch durch die Kaubewegungen. Bei Kaninchen ist der Oberkiefer breiter als der Unterkiefer (Anisognathie). Beim Zerkleinern der Nahrung mahlen sie das Futter mit den Backenzähnen klein, wodurch dieses niedliche „Mümmeln“ entsteht. Die Okklusalfächen (die Oberfläche der Zähne) sind leicht nach außen geneigt und die Zähne schärfen sich durch das Kauen automatisch nach. Die Zähne der Kaninchen sind in Relation zu ihrem Schädel relativ groß und die Wurzeln wachsen bis in die Nähe des Tränen-Nasen-Kanals (Ductus nasolacrimalis), der Augenhöhle (Orbita) und des Unterkieferknochens (Mandibula). Ändert sich nun durch falsches Kauverhalten, aufgrund der Anatomie, falschem Futter oder schmerzbedingt, die Kaubewegung des Kaninchens, so nutzen sich die Zähne nicht mehr physiologisch ab und es kommt zu krankhaftem Zahnwachstum. Dies kann sowohl die Kauflächen und die Wurzeln der Backenzähne als auch das Wachstum der Schneidezähne betreffen.

 

SKIZZE EINES KANINCHENSCHÄDELS (2, li.)
GESUNDES GEBISS EINES HAUSKANINCHENS (3, re.)
© S. Bornath

PATHOLOGIE

Das auf Bild 4 und 5 gezeigte Tier litt an einer schweren Entzündung im linken Ohr, was vermutlich zu einer Schonung des linken Kiefers beim Kauen geführt hat und dies wiederum zu den vorliegenden Zahnerkrankungen. Ein häufiges und sehr schmerzhaftes Problem bildet dann auch das Wachstum der Zahnwurzeln in die Augenhöhle (Orbita), was auf Foto 12 gut erkennbar wird.

 

KRANKES GEBISS MIT SCHRÄG ABGENUTZTEN SCHNEIDEZÄHNEN UND FEHLENDEM MOLAR (4, li.)
DIE SCHRÄG ABGENUTZTEN SCHNEIDEZÄHNE SIND GUT ZU ERKENNEN (5, re.)
© S. Bornath

URSACHEN UND VORBEUGUNG

SCHMERZEN DURCH ANDERE PRIMÄRERKRANKUNGEN
Mögliche Ursachen für ein pathogenes Zahnwachstum können u.a. Schmerzen sein, die durch Entzündungen ausgelöst werden, z.B. eine Otitis, wie in dem oben genannten Fall. Aber auch Futterreste, die sich ins Zahnfleisch bohren, Haarrisse in den Zähnen, die durch falsches Futter entstehen und zu Kieferentzündungen führen können, sowie angeborene, also genetisch bedingte Anomalien. Um Schmerzen vorzubeugen, ist es wichtig, die Tiere gut im Auge zu behalten. Denn Kaninchen verbergen Schmerzen sehr gut und viele Probleme werden erst sichtbar, wenn es schon zu spät ist. Für die Anamnese kann es hilfreich sein, die Tiere beim Futtern zu beobachten. Wenn die Kaubewegungen „falsch“ aussehen, kann dies ein Zeichen für Zahnanomalien, Abszesse und Schmerzen im Kiefer sein.

FALSCHE FÜTTERUNG
Haarrisse in den Zähnen und falsche Kaubewegungen entstehen in den meisten Fällen durch falsches Futter. Leider hält sich immer noch das hartnäckige Gerücht, dass Kaninchen hartes Futter benötigen, um ihre Zähne abzunutzen. Das ist Nonsens! Kaninchen sind Folivore, also Blattfresser, sie brauchen blättriges Futter, um die typische „Mümmel-Bewegung“ auszuführen, die ihre Zähne richtig abnutzt. Hartes Futter wie Pellets, Brot, Brötchen, Knabberstangen, Erbsenflocken, Karotten, Wurzelgemüse etc. verursacht eine unnatürliche vertikale Kaubewegung (das Futter wird gequetscht). Dies übt beim Fressen zu viel Druck auf Zähne und Kiefer aus und führt langfristig zu Zahnerkrankungen.
Ist das Kind einmal in den Brunnen gefallen, bleiben die Probleme oft lebenslang bestehen und lassen sich nur schwer oder gar nicht mehr in den Griff bekommen. Um dem vorzubeugen, ist die physiologische Ernährung der kleinen Langohren mit Heu, Kräutern, blättrigem Gemüse und Salaten die beste Möglichkeit, Erkrankungen zu verhindern oder abzumildern.

GENETISCHE FAKTOREN

Genetisch bedingte, also angeborene Anomalien der Zähne und des Kiefers, treten häufig bei Kaninchen von „Vermehrern“ auf, bei denen vor der Verpaarung nicht auf Physiologie und Genetik geachtet oder sogar Geschwister miteinander verpaart wurden. Letzteres kommt leider auch bei Züchtern vor, die Linienzucht betreiben, um z.B. Zahnfehlstellungen in der Genetik aufzudecken. Bedauerlicherweise landen häufig auch diese vorbelasteten/ aussortierten Tiere bei Liebhabern, die sich dann lebenslang um die Zahnprobleme ihrer Kaninchen kümmern müssen. Ein weiteres Problem bilden Züchtungen mit besonders kurzen Köpfen, sog. brachyzephale Schädel. Weil viele Menschen den kurzen Kopf als „niedlich“ empfinden, werden Tiere gezielt so gezüchtet, obwohl es nicht ihrer natürlichen Physiologie entspricht.
Die Folgen sind häufig Zahnfehlstellungen, die sie zu lebenslangen Patienten beim Heimtier-Zahnarzt machen.

 

BESONDERS KANINCHEN MIT KURZEN SCHÄDELN NEIGEN ZU ZAHNERKRANKUNGEN (6, li.)
© S. Bornath
DIE ZAHNWURZELN WACHSEN DURCH DEN UNTERKIEFERKNOCHEN EINES KANINCHENS (7, re.)
© D. Holthöfer

DIAGNOSTIK UND BEHANDLUNG

Merke: Vor der Behandlung steht immer die Diagnose! Zeigt das Tier Auffälligkeiten wie Fressunlust, Gewichtsverlust, häufige Aufgasungen, ein nasses Kinn durch Speicheln, einen dauerhaften Nickhautvorfall, auffälliges Kauverhalten, Zahnverfärbungen, einseitigen Nasenausfluss, ein tränendes Auge, Schmerzen im Kopfbereich oder sind bei der Palpation Schwellungen im Kieferbereich oder den Zahnspitzen tastbar, sollte ein heimtierkundiger Tierarzt aufgesucht werden.
Denn entscheidend für eine richtige Diagnose ist nicht nur der Blick ins Maul, der übrigens niemals mit einem Maulspreizer bei einem wachen (nicht sedierten) Kaninchen vorgenommen werden sollte, sondern auch die bildgebende Diagnostik mittels Röntgen oder CT. Wobei zunächst meist eine Röntgenaufnahme ausreichend ist, um sich ein Bild von der vorliegenden Problematik machen zu können. Das Röntgenbild ist wichtig, weil viele Zahnprobleme beim Blick ins Maul nicht zu erkennen sind, im Röntgenbild aber schon.

In einigen Fällen nutzen sich die Zahnflächen der Backenzähne nicht richtig ab und verursachen Zahnspitzen, die sich beim Fressen in die Zunge oder das Zahnfleisch bohren und Schmerzen verursachen. In solchen Fällen können die Zähne meist in einer kurzen Behandlung abgeschliffen und angeglichen werden, um dem Kaninchen wieder ein schmerzfreies Fressen zu ermöglichen. Das Schleifen der Zähne muss je nach Krankheitsbild regelmäßig wiederholt werden.
Sind die Schneidezähne wie auf Bild 8 stark einseitig abgenutzt, liegt das eigentliche Problem nicht bei den Schneidezähnen, sondern irgendwo anders im Kiefer. Dieses Tier hat schon lange Zeit einseitig gekaut, wodurch sich die Schneidezähne schief abgenutzt haben. Ein Röntgenbild ist also unerlässlich, um das Problem exakt zu eruieren.
Auf dem Röntgenbild von Foto 9 erkennt man sehr gut, wie die Zahnwurzeln bereits in die Orbita hineinwachsen. Ein Krankheitsbild, das sehr schmerzhaft sein dürfte.

 

NICHT IMMER SIND ZAHNPROBLEME SO AUFFÄLLIG WIE HIER (8, li.)
© S. Bornath
DIE ZAHNWURZELN DES OBERKIEFERS WACHSEN IN DIE AUGENHÖHLE (9, re.)
© D. Holthöfer

Das hier gezeigte Tier wurde aufgrund der Schwere der Erkrankung euthanasiert.
Die Therapie ist in jedem Fall mit dem behandelnden Tierarzt abzusprechen. Sollte dieser weder kaninchenkundig noch auf Zahnprobleme spezialisiert sein, lässt man sich am besten jemanden empfehlen, der Profi in Sachen Kaninchenzähne ist.
Sind bereits Entzündungen und Abszesse im Kiefer entstanden, muss der betroffene Zahn extrahiert werden. Wird ein Zahn gezogen, fehlt natürlich auf der gegenüberliegenden Seite der Antagonist, der wichtig für die gleichmäßige Abnutzung der Zähne ist. Es sollte individuell entschieden werden, ob man den gegenüberliegenden Zahn direkt mit extrahiert oder in sehr regelmäßigen Zeitabständen abschleifen lässt.
Da Zahnprobleme ernsthafte, lebensbedrohliche, oft schwer zu behandelnde und langwierige Erkrankungen bei Kaninchen darstellen, sollte man sich realistisch mit der Prognose auseinandersetzen und abwägen, wie aussichtsreich eine Behandlung bzw. eine Operation ist oder ob es sinnvoller ist, das Tier zu erlösen.
Ein häufiges Fehlwachstum bei Kaninchen betrifft die Schneidezähne. Wenn diese durch eine pathologische Anatomie des Tieres nicht direkt aufeinandertreffen und sich dementsprechend nicht richtig abnutzen können, wachsen sie in manchen Fällen unglaublich lang, und man fragt sich, wie das Tier überhaupt noch fressen konnte.
Ein Kaninchen mit einem Über- oder Unterbiss wird regelmäßiger Zahnkürzungen bedürfen. Leider gibt es immer noch Halter und manchmal sogar Tierärzte, die die Zähne mit einem Seitenschneider kürzen, weil es schnell geht und Geld spart. Das ist ein absolutes No-Go! Werden die Zähne mit einem Seitenschneider gekürzt, besteht ein hohes Risiko, dass Haarrisse im Zahn entstehen, durch die Bakterien in den Kiefer eindringen und Entzündungen verursachen. Im schlimmsten Fall kann der Zahn splittern und ernsthafte, schwer zu behandelnde und schmerzhafte Verletzungen verursachen.
Zu lange Schneidezähne sollten vom Tierarzt unter Narkose mit einer Diamantscheibe gekürzt werden. Für die Backenzähne gibt es entsprechende Diamantschleifer, die dem Tierarzt ein exaktes Kürzen und Angleichen der Kauflächen ermöglichen (Foto 11).

 

ÜBERLANG WACHSENDE SCHNEIDEZÄHNE IM UNTERKIEFER DURCH EINEN UNTERBISS (10, li.)
© B. Baltes
NACH DEM KÜRZEN DER ZÄHNE KANN DAS TIER WENIGSTENS WIEDER FRESSEN (11, re.)
© S. Bornath

Nach dem Kürzen der Zähne fressen die meisten Kaninchen fast sofort wieder richtig. Ein fachkundiger Tierarzt wird das Tier nach Behandlung und Aufwachen erst nach Hause entlassen, wenn es wieder gefressen hat.
In den meisten Fällen muss mit Folgebehandlungen gerechnet werden, da Zahnprobleme fast immer chronisch und nicht heilbar sind.

BEGLEITUNG IN DER TIERHEILPRAXIS

Vorbeugen ist immer besser als heilen: Das Wichtigste ist die fachkundige Beratung in puncto Ernährung. Mit dem richtigen Futterangebot können viele Zahnerkrankungen vermieden werden. Auch bei bestehenden Erkrankungen können durch Ernährungsumstellung auf blättrige Nahrung die Zeiträume fürs Zähneschleifen oft deutlich verringert werden.
Zur richtigen Ernährung gehört in jedem Fall Heu ad libitum, im Sommer tägliches Frischfutter in Form von Wiese und Gräsern, im Winter werden blättrige Bittersalate, Kohlsorten (z.B. Weißkohl, Chinakohl) und Kräuter angeboten.
Nach den Zahnbehandlungen muss die Nahrung für manche Tiere zerkleinert werden, damit diese richtig fressen können.
Im Anschluss an die erfolgte Therapie ist die Nachsorge wichtig! Eröffnete Abszesse müssen gespült und gereinigt, der Heilungsverlauf sollte begleitet werden. Auch regelmäßige Kontrollen sind notwendig und können in der THP-Praxis begleitet werden.

ZU ERKENNEN IST, DASS DIE ZAHNWURZELN IN DIE AUGENHÖHLE (ORBITA) EINGEWACHSEN IST (12)
© S. Bornath

FAZIT

  • Bei Verdacht auf Zahnprobleme sofort zum fachkundigen Tierarzt
  • Auf ein Röntgenbild bestehen
  • Die weitere Behandlung mit Tierarzt/THP besprechen
  • Regelmäßige Kontrollen und Nachbehandlungen einhalten
  • Niemals die Zähne auf eigene Faust mit dem Seitenschneider kürzen
  • Auf richtige, also blättrige Ernährung achten

SASKIA BORNATH
Tierheilpraktikerin

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Mykotherapie, Phytotherapie, Ernährungsberatung, Onkologie, Dentalhygiene (Hunde)

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