Der Hochsensible Hund: Mimose, Weichei oder einfach nur sensibel?
VON SABINA PILGUJ, AUTORIN & BLOGGERIN
Der Schäferhundrüde Theo ist ein prächtiger Kerl, der seine Stärke gerne zur Schau stellt. Doch wehe, wenn es zu regnen beginnt! Dann zeigt Theo seine empfindliche Seite, denn dann mag er absolut nicht nach draußen gehen. „Stell dich nicht so an, du bist ja empfindlich wie eine Mimose!“, schimpft sein Besitzer.
Mein Podenco Amigo liebt es ebenfalls, auf dem trockenen Rasen zu liegen und verabscheut es, wenn am frühen Morgen dieser noch feucht ist. Manchmal sieht es dann so aus, als würde er über glühende Kohlen laufen, da er sich bemüht, dass seine Pfoten möglichst wenig Bodenkontakt bekommen. Sind Theo und Amigo nun Mimosen?
Die Mimose ist eine wunderschöne Pflanze mit zarten grünen Blättern. Der Begriff „Mimose“ bzw. „mimosenhaft“ wird oft als negative Konnotation verwendet, wenn jemand übersensibel ist. Die Pflanze ist ebenfalls sehr empfindsam, denn pustet man sie an, ziehen sich ihre Blätter sofort zusammen.
Dies geschieht auch bei Gewitter mit lautem Donner. Mimosenhaftes Verhalten zeigen nicht nur Menschen, sondern auch unsere vierbeinigen Freunde. Hunde können also durchaus übersensibel sein. Dies kann sich auf alle Sinneserfahrungen auswirken: Hören, Riechen, Schmecken, Sehen und Fühlen.
Lieber leise Töne
Ängstliche oder geräuschsensible Hunde mögen keinen Krach. Da kann der Staubsauger oder ein Gewitter schon mal zum bedrohlichen „Angstmonster“ werden. Die Bandbreite der als unangenehm empfundenen Geräusche ist sehr groß. Und einige Hunde scheinen das „Mimosen-Gen“ in die Wiege gelegt bekommen zu haben.
Wenn alles ein wenig sensibler scheint
Auch gibt es Hunde, die sehr geruchsempfindlich reagieren. Sie meiden intensive Gerüche. Darum gehen so viele Hunde am Silvesterabend nicht nur des Kraches wegen ungern nach draußen, sondern auch, weil der Geruch der von den Raketen und Böllern freigesetzten Chemikalien für die empfindlichen Hundenasen zum Teil unerträglich ist. Wer sich als Hundehalter Gedanken zur empfindlichen Hundenase macht, wird im Alltag auch mehr Rücksicht nehmen und z.B. Duftbäumchen im Auto entfernen.
Andere Hunde sind berührungsempfindlich. Dies bedeutet, dass sie in ihrer körperlichen Empfindung sehr sensibel reagieren. Sie mögen nicht einfach so – und vor allem nicht von fremden Menschen – angefasst werden. Empfindungssensible Vierbeiner mögen es auch nicht, sich auf dem Pflaster, dem Steinboden in Straßencafés oder auf der Terrasse hinlegen zu müssen. Sie bleiben lieber sitzen oder bestehen auf eine Decke. Besonders Hunderassen, die wenig Fell am Bauch haben, scheinen da oftmals noch empfindsamer zu reagieren. So kann auch Kleidung für diese feinfühligen Hunde schon mal zur Tortur werden. Die Tiere fühlen sich unwohl, eingeengt und empfinden die Kleidung als kratzigen Fremdkörper. Es gibt berührungsempfindliche Hunde, die mit Pfoten nicht über bestimmte Bodenbeläge oder Wege mit vielen kleinen, spitzen Steinen oder Split laufen mögen. Und auch Schneeklumpen an den Pfötchen werden im Winter als extrem unangenehm empfunden.
Hochsensible Menschen und Hunde
Menschen sind oft schnell mit Aussagen wie „Stell dich nicht so an, du Mimose!“. Nicht ahnend, dass der eigene Vierbeiner manchmal anders als die „normalen“ Hunde reagieren kann. So könnte er zu der Spezies Tier gehören, die eben etwas sensibler ist als andere, also hochsensibel. Hochsensibilität ist ein Phänomen, bei dem Betroffene stärker als der Durchschnitt auf Umweltreize reagieren, weil sie eine intensivere Wahrnehmung haben.
Pawlow-Versuche
Der russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow entdeckte das Prinzip der klassischen Konditionierung. Ein bis heute wichtiger Aspekt in der Hundeerziehung und im Hundetraining. Für seine Versuche zum bedingten Reflex (Pawlow‘scher Hund) erhielt er den Nobelpreis. Er stellte aber auch Versuche zur menschlichen Empfindsamkeit und deren Belastbarkeit an. Sensiblere Menschen und Tiere reagieren in bestimmten Situationen durch ihre Feinnervigkeit eben anders, als von ihnen erwartet wird. Neben diesen als sensibel einzustufenden Menschen gibt es jedoch noch eine feine Abstufung zu unterscheiden: die Hochsensiblen.
Der hochsensible Hund ist kein verhaltensauffälliger Hund
Es gibt aktuell meines Wissens nach noch keine Studien zum Thema „hochsensible Hunde“. Durch meine Beobachtungen möchte ich aber die These aufstellen, dass es hochsensible Hunde gibt. Und genau so ein Exemplar habe ich an meiner Seite. Mein Podenco Ibicenco „Amigo“ ist kein ängstlicher, sondern ein offener und freundlicher Hund. Rassespezifisch hat er eine sehr feine und sensible Sinneswahrnehmung. Von der Welpenzeit an hat er Verhaltensweisen gezeigt, die ich auch bei hochsensiblen Kindern beobachten konnte. Mein Rüde ist per se kein hibbeliger oder hyperaktiver Hund. Von seinem Wesen her ist er eher ein ausgeglichener Hund. Da Podencos als Jagdprofis mit allen Sinnen jagen, funktionieren diese extrem gut. Meiner Meinung nach haben Podencos, ebenso wie z.B. die Hunderassen Border Collis oder Australian Shepherd, eine sehr sensitive visuelle und auditive Wahrnehmung. Das mag in ihrem Job als Jagdhund ein großer Vorteil sein, aber oftmals im normalen Alltag nicht. Manchmal werden diese Hunde als „hyperaktive Hunde“ bezeichnet. Sicherlich scheint es auf den ersten Blick auch so, aber die innere Unruhe kann in Verbindung mit einer Reizüberflutung bzw. Reizverarbeitung stehen. Es gibt auch Kinder, die hyperaktives Verhalten zeigen, aber zu den hochsensiblen Kindern gehören. Sie zeigen manchmal ein unverständliches, unerklärbares Verhalten, eben noch laut und wild und dann auf einmal schnell überreizt und so leicht verletzlich. Die Eltern dieser Kinder haben es nicht immer einfach und es bedarf sehr viel Einfühlung, Verständnis und Geduld. Eines haben hochsensible Kinder und Hunde gemeinsam: Auf eine grobe, autoritäre, wenig einfühlsame Erziehung reagieren sie mit Verweigerung.
Entspannung und Verständnis sind wichtig
Mein feinnerviger Podenco Amigo fühlt sich bei vielen Eindrücken in der Stadt sehr leicht überreizt und kommt dann schlecht zur Ruhe. Es gibt viele weitere Beispiele, in denen Amigo von seinem Verhalten oder Charakter her zeigt, dass er definitiv zur Gruppe der hochsensiblen Hunde gehört. Da diese Hunde mehr Reize aufnehmen, die verarbeitet werden müssen, kann dies für eine erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen sorgen. Darum ist es sehr wichtig, dass die hochsensiblen Hunde in ihrem Alltag immer wieder zur Entspannung finden und nicht durch ein Überangebot überfordert werden. Diese Empfindlichkeit sollte ernst genommen und durch gezieltes Training minimiert werden. Aber Hochsensibilität/Hochsensitivität kann man nicht desensibilisieren oder wegtrainieren, sie ist immer vorhanden.
Sicherlich sind die laufenden Studien zum Thema „Hochsensible Menschen“ erst der Anfang. Ich bin mir sicher, dass sich der Fokus auch auf die Hundewelt richten wird.
Mein Podenco hat mich dazu inspiriert, ein Buch über sein Leben als hochsensibler Hund zu schreiben, damit sich die feinfühligen Kinder gut mit Amigo identifizieren und so lernen können, dass sie, so wie sie sind, genial, einzigartig und total normal sind. Und so lautet der Buchtitel auch „Ich bin wie ich bin – genial und total normal“. Ebenso können aber auch Hundehalter erfahren, wie ein hochsensibler Hund den Alltag oftmals mit großen Herausforderungen erlebt.
Sabina Pilguj
Autorin, IBIZA-Coach, Tierpsychologin (ATN) und
Begründerin von "Dog Relax - Entspannter Mensch - entspannter Hund"