Fallstudie: Kaninchen Balu ist an E.c. erkrankt
Zwei Jahre lang blieb ich standhaft, wenn es darum ging, zu unserer 9er-Kaninchentruppe, die mitt lerweile fast nur noch aus Senioren und Handicap-Tieren besteht und unsere Zeit voll und ganz aus füllt, noch ein weiteres Tier hinzuzufügen. Doch manchmal kommt alles anders, als man denkt.
Balu findet uns auf Facebook
13. Januar 2019
Ein Freund aus dem Tierschutz stellte über Facebook die Anfrage, ob jemand ein E.c.-Kaninchen (E.c. = Encephalitozoon cuniculi) schnellstmöglich aufnehmen könnte. Das Tier hätte einen extremen Schub mit Kopfschiefhaltung und könne nicht laufen, geschweige überhaupt auf vier Pfoten stehen. Erfahrung mit E.c. haben wir – Platz eigentlich nicht … eigentlich!
Als ich das erste Bild vom Tier sah, fing mein Herz wild an zu klopfen. Ich sah mein Baby Bieni, nur viel, viel kleiner.
Bieni war mein erstes Kaninchen, mit dem damals der ganze „Kaninchenspuk“ anfing. Vor zwei Jahren mussten wir ihn mit knapp 12 Jahren leider einschläfern lassen. Das haben wir bis heute noch nicht ganz verdaut.
Auf dem Foto war ein silbergraues Fellknäuel zu sehen, bei dem vorne und hinten nicht zu unterscheiden war. Das Alter des Tieres war nicht bekannt und es sah elendig aus. Hinzu kam die schockierende Information, dass das Kaninchen fünf Tage lang zusammen mit einer Schlange in einem Terrarium saß, die Schlange aber wohl keinen Hunger hatte.
Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Letztlich wurden alle Vorsätze schnell über Bord geworfen und dieses arme kranke Tier ist bei uns eingezogen. Wir wissen bis heute nicht, ob die E.c.-Infektion durch den Stress im Terrarium ausgelöst wurde oder bereits vorher bestand. Und natürlich stellten wir uns die Frage, wie viel Zeit wir schon verloren hatten.
15. Januar 2019
Wir bereiteten einen dick ausgepolsterten Käfig vor, um Verletzungen vorzubeugen, und checkten den Medikamentenschrank, um fehlende Arzneimittel über unseren Tierarzt besorgen zu lassen. Dann kam dieses unkastrierte und halbtote Fellknäuel endlich bei uns an. Der erste Satz, den ich sagte, als die Transportbox geöffnet wurde: „Ich glaube, er hat es geschafft, er lebt ja schon gar nicht mehr.“
Vorsichtig hob ich ihn aus der Box, um ihn mir anzusehen: Kopfschiefhaltung um 180 Grad, linkes Auge komplett entzündet und vereitert, Gewicht 900g, struppiges Fell, lange Krallen, dehydriert, unfähig zu sitzen und zu stehen.
Unser gemeinsamer Weg mit Balu
Als erstes habe ich Balu Wasser ins Mäulchen eingeflößt und einen „Päppelbrei“ angerührt. Das vereiterte Auge versuchte ich vorsichtig zu reinigen und habe es mit einer Salbe versorgt. Dann legte ich ihn vorsichtig in seinen abgedunkelten Käfig, damit er zur Ruhe kommen konnte. Alles Weitere wollten wir am nächsten Tag entscheiden.
16. Januar 2019
Um die E.c.-Infektion in den Griff zu kriegen, erstellte ich für Balu einen umfangreichen 28-tägigen Therapieplan, der Folgendes vorsah:
- 0,3 ml Baytril – täglich oral in einer Spritze
- 0,3 ml Panacur
- 0,5 ml Engystol ad us. vet. – täglich oral in einer Spritze
- 0,5 ml Cerebrum comp.
- 2 Tropfen Cannabisöl CBD 10 %
- 1 Messerspitze Vitamin-B-Komplex – täglich vermischt, oral verabreicht
- 3 ml Nagertee für Blase und Nieren
Zusätzlich bestellte ich getrockneten Wiesenbärenklau, da frischer im Januar schwer zu finden ist. Das Auge behandelte ich mit Posiformin 0,2 % Augensalbe und massierte sanft Balus Rücken- und Nackenmuskulatur täglich 20 Minuten lang.
Balu konnte zwar schlucken, hat sich aber durch die Kopfschiefhaltung oft verschluckt oder die Medikamente über die Nase wieder ausgeschieden.
In den folgenden Tagen habe ich sein Fell mit einer weichen Bürste gekämmt, die Krallen Pfötchen um Pfötchen gekürzt und den vertrockneten Kot zwischen seinen Beinchen mit Babyöl gelöst.
Langsam konnte er wieder sitzen, fiel aber noch um. Irgendwann saß er auf einer Stelle und drehte sich im Kreis.
Nach einer Woche war das Auge fast verheilt und Balu fing an, Fenchel und frische Kräuter zu knabbern.
Sieben Tage später fraß er komplett selbstständig, konnte sitzen ohne umzufallen, hörte auf seinen Namen und wirkte sehr aufmerksam.
Dann kam das erste Training! Umfallen, aufstehen und weitermachen hieß die Devise.
Mittlerweile läuft er ohne umzufallen. Er kann sich links- und rechtsherum drehen, aber nicht mehr im Kreis. Sein Fressverhalten hat sich fantastisch entwickelt und er macht seine Therapie problemlos mit. Balu genießt jede Aufmerksamkeit und das tägliche Kopfkraulen.
Mitte Februar 2019
Nach vier Wochen hatte sich die Kopfschiefhaltung von 180 auf 90 Grad gebessert. Balu rennt und springt in seinem eigenen Gehege umher, in dem ihm ein paar Stofftiere Gesellschaft leisten. Er ist so stabil geworden, dass wir ihn unserem Tierarzt vorstellten.
Was die Kopfschiefhaltung betrifft, haben wir alles erreicht, was geht; komplett gerade wird die Kopfstellung wohl nicht mehr werden. Ich fragte den Tierarzt, ob Balu geimpft und kastriert werden kann, ohne dass wir mit Rückschritten rechnen müssen. Zu beiden Fragen wurde uns gesagt, dass das Risiko zwar gering wäre, aber nicht ganz ausgeschlossen werden könne.
Mitte März 2019
Wir haben uns entschieden, Balu zusammen mit seinen Freunden impfen zu lassen. Im Gegensatz zu seinen Kumpels wird er allerdings nur gegen RHD 1 + 2 (Rabbit Haemorrhagic Disease = Chinaseuche) geimpft und die Myxomatoseimpfung später nachgeholt. Ich will seinen kleinen Körper nicht mit zu viel auf einmal belasten.
Balüchen hat die Impfung ohne Komplikationen vertragen, sodass wir nun eine Sorge weniger haben. Am 22.03.2019 wurde er kastriert. Auch das hat er sehr gut überstanden.
Heute kann er schon mit einem Satz in seine Klokiste hüpfen, hat ein paar Gramm zugenommen und im Kaninchenzimmer ein eigenes kleines Gehege.
Etwa sechs Wochen nach der Kastration werden wir den letzten großen Schritt wagen und versuchen, ihn mit den anderen neun Kaninchen zu vergesellschaften. Zwischendurch durfte er unsere ruhigen Jungs und die kastrierte Lina schon kurz kennenlernen und hat alle mit Freude abgeleckt. Sein schiefer Kopf macht ihn zu etwas ganz Besonderem, sein harter Kampf zurück ins Leben sowieso! Encephalitozoon cuniculi ist kein Todesurteil. Es lohnt sich zu kämpfen, wie man an Balu gesehen hat. Beharrlichkeit und Konsequenz gehören hier aber undingt dazu.
Wir sind stolz auf unser Balüchen, die kleine Rennsemmel, und ich bin mir sicher, dass hier Baby Bieni von oben ihre Pfötchen mit im Spiel hatte!
SYLVIA RECH
TIERHEILPRAKTIKERIN
MOBILE TIERHEILPRAXIS IN FELSBERG/SAARLAND
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