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Homöopathie: Die Suche nach der Konstitution

ENTSCHEIDEND FÜR DIE MITTELFINDUNG ODER IRREFÜHRENDE ZEITVERSCHWENDUNG?

Homöopath A: „Die meisten Schäferhunde benötigen Lycopodium.“ „Einem Labrador gibt man am besten Calcium Carbonicum, das Mittel wird schon was machen.“

Homöopath B: „Das EINE konstitutionelle Mittel gibt es nicht. Jeder Patient ist ein Einzelfall, die sichtbaren Symptome sind dass, was behandelt werden muss.“

Wer von den beiden hat recht? Nach welcher Richtlinie sollen wir als Tierhomöopathen arbeiten? Mit diesem Beitrag wollen wir ein wenig Licht in die Thematik bringen und zeigen, inwieweit uns die Kenntnis der Konstitution eines Tieres und der damit verbundenen Reaktionsmuster zu einem besseren Fallverständnis und einer präziseren Verordnung führt.

Ursprung der „Konstitution“

Das Wort „Konstitution“ leitet sich vom lateinischen Wort „constitutio“ ab und wird mit „Zusammensetzung, Anordnung“ übersetzt. Man versteht darunter die Gesamtheit der überdauernden, genetisch vermittelten Eigenschaften eines Menschen (Tieres), die im Laufe des Lebens für das Leistungsvermögen und die Gesundheit ausschlaggebend sein könnten. Darunter fallen sowohl körperliche Merkmale als auch Charaktereigenschaften. Es gibt einen eigenen Wissenschaftszweig, die Konstitutionenlehre, die sich damit befasst, ob und inwieweit konstitutionelle Ausprägungen Einflüsse auf eventuelle spätere Veranlagungen zu bestimmten Erkrankungen haben könnten.
In jedem Organismus gibt es ererbte Anlagen, die sich während der Trächtigkeit und in den ersten Lebensmonaten weiter ausbilden. Sie bilden einen Rahmen, innerhalb dessen das Tier im späteren Leben auf Reize reagieren kann und voraussichtlich reagieren wird. Krankheiten, Haltungsbedingungen und andere Einflussfaktoren können diese ursprüngliche Konstitution überlagern bzw. verändern – innerhalb der anfangs gesetzten Grenzen.
Hahnemann hat auf dieses Prinzip der Empfänglichkeit eines Organismus für bestimmte Erkrankungen im Organon 6, § 31 Bezug genommen. Er nennt es „Empfänglichkeit“ oder „Prädisposition“:

„Auch besitzen die feindlichen, teils psychischen, teils physischen Potenzen im Erdenleben, welche man krankhafte Schädlichkeiten nennt, nicht unbedingt die Kraft, das menschliche Befinden krankhaft zu stimmen; wir erkranken durch sie nur dann, wenn unser Organismus so eben dazu disponiert und aufgelegt genug ist, von der gegenwärtigen Krankheitsursache angegriffen und in seinem Befinden verändert, verstimmt und in innormale Gefühle und Tätigkeiten versetzt zu werden – sie machen daher nicht jeden und nicht zu jeder Zeit krank.“

Foto: Tsvetkov - FotoliaIn der Tierzucht haben wir uns diese Reaktionsmuster ebenfalls zunutze gemacht. Um bestimmte Eigenschaften zu erzielen, müssen in der Zuchtauswahl nur einige Generationen hindurch diejenigen Tiere gezielt gepaart werden, welche die erwünschten körperlichen und mentalen Merkmale aufweisen. In der evolutionsgeschichtlichen Entwicklung des Hundes kann man sehr genau sehen, wie aus einem ursprünglichen „Einheitshund“ viele verschiedene Rassen mit sehr unterschiedlichem Erscheinungsbild gezüchtet wurden: der duldsame, unempfindliche, immer freundliche Arbeitshund – der Labrador; der ausdauernde und apportierfreudige Deutsche Jagdterrier mit seinem besonders gut ausgeprägtem Spürsinn; der aufmerksame, folgsame (unterwürfige) und gut erziehbare Wach- und Schutzexperte – der Deutsche Schäferhund, um nur einige zu nennen.
Im offiziellen Rasseportrait des Deutschen Schäferhundes ist u. a. zu lesen (Auszug, keine vollständige Wiedergabe): „Mut, Nervenstärke und stete Aufmerksamkeit gehören zu den prägendsten Charaktereigenschaften des Deutschen Schäferhundes. Er ist besonders gut führbar, gehorsam, lernwillig und respektvoll. Er hat einen hohen Bewacher- und Schutzinstinkt und dennoch ein ausgeglichenes Wesen. Er besitzt große Körperkraft. Selbstsicherheit und Unbefangenheit gehören ebenfalls zu seinen wesentlichen Merkmalen. Sein Geruchssinn ist besonders gut entwickelt. Er hat einen ausgeprägt hohen Kampftrieb.“

Wenn wir diese rassetypischen Merkmale ohne die individuellen Symptome eines Patienten repertorisieren, kommen für die klassische Schäferhund-Konstitution die in der Grafik angegebenen Mittel infrage. Schäferhunde sind also so gezüchtet, dass sie typische Charaktermerkmale des homöopathischen Mittels Lycopodium aufweisen.


STECKBRIEF LYCOPODIUM

Foto: foto76 - FotoliaWISSENSWERTES: Ein Moos aus der Familie der Bärlappgewächse (Lycopodiacae). Seine Vorfahren waren riesige Bäume, die an der Bildung unserer heutigen Steinkohlenflöze beteiligt waren. Bärlapp heute ist ein kleines unscheinbares Moos, das in trockenen Nadelwäldern am Boden kriecht. Für die homöopathische Arznei verwendet man die zerriebenen Sporen. Das Kraut enthält Alkaloide, die stark auf die Leber wirken à Vergiftungen, Störungen der Motorik des Magen-Darm-Kanals. Die Volksheilkunde verwendet Lycopodiumkraut als Diuretikum, bei Gicht, Rheuma, Geschlechtskrankheiten.

SIGNATUR: Jetzt bin ich klein und unbedeutend und muss mich fügen – ABER: Ich war einmal der Größte und da will ich wieder hin! Feigheit – Minderwertigkeitsgefühle – Selbstüberschätzung – Egoismus.

CAUSA: Demütigung, Kränkung, Schreck, Furcht, Leistungsstress, Wetterwechsel, falsche Fütterung.

KLINISCHER ANWENDUNGSBEREICH, ORGANBEZUG: Schwerpunkte: Leber (Verdauungstrakt), Urogenitaltrakt, Blähungen, Flatulenzen, Verdauungsschwäche, Leberstörungen, Harngries, Kolik (Anschoppung), Brunstlosigkeit.

GEMÜT: Feigheit, Mangel an Selbstvertrauen, tyrannische Tiere, „nach unten beißen, nach oben schmeicheln“, setzen sich gerne in Szene, aufgebläht, ängstlich, kann schlecht alleine bleiben, empfindlich gegenüber Demütigungen, Tadel, leicht reizbar (unerwartetes Schlagen, Beißen), Radfahrer-Beißen.

KOPF-ZU-FUSS:

Kopf: ergraute Haare, obwohl noch jung, Längsfalten im Gesicht

Atmung/Sinnesorgane: Atemwegserkrankungen (Nasenflügelatmung), Absonderungen oft zäh (DD Kali Bi), Otitis, Ohrmilben, Knabbern und Lecken aus Langeweile oder Nervosität

Verdauungsapparat: Große Verdauungsschwäche, Blähungen, Flatulenzen, Aufstoßen, Heißhunger, aber rasche Sättigung, frisst gerne spätabends und nachts, frisst aber nur wenig, gerne Süßes, Abdomen druckempfindlich

Rektum: Chronische Verstopfung, Kot erst fest, dann durchfällig

Urogenitaltrakt: Vermehrter Harndrang, rez. Harnwegsinfekte aller Art, Nierensteine, Harngrieß, Nierenbeschwerden, Inkontinenz (Rüde)

Fell/Haut: Rissige Pfotenballen, brüchige Hufe, häufig Juckreiz, Fisteln, Abszesse

Bewegungsapparat: Chronische, rheumatische Beschwerden der Extremitäten, Wirbelsäule, „fester Rücken“ beim Pferd, Hüftarthrosen (Schäferhund), Gicht, Lahmheiten besser durch fortgesetzte Bewegung (DD Rhus Tox.)

MODALITÄTEN:

AMEL: Frische kühle Luft, warmes Fressen/Trinken, leichte Bewegung AGG: Nasses Wetter, Hitze, morgens nach dem Aufwachen, 16.00 – 20.00 Uhr


Bestimmte Rassen tendieren zu bestimmten Verhaltensmustern und auch zu bestimmten Krankheiten, bekannt als „Rassedispositionen“.
201502 Homooe5Natürlich ist es gefährlich und nicht im Sinne der individuellen homöopathischen Verschreibung, von diesen Typologien abzuleiten, dass jeder Schäferhund Lycopodium benötigt. Wenn wir aber Erscheinungsbild, physische und psychische Merkmale des Tieres exakt beobachten, erhalten wir wertvolle Hinweise auf eine mögliche Grundkonstitution, auf erbliche Anlagen und Miasmen, die im Tier aktiv sind. All das sind wichtige Informationen zur richtigen Einschätzung des Falles und möglicher Fallverläufe. Je nach unserem Materia- Medica-Kenntnisstand erhalten wir aus diesen Überlegungen auch erste Ideen zu Arzneimitteln bzw. zu Gruppen von Arzneimitteln. Idealtypisch und sehr vereinfacht sehen wir z. B. den „Calcium-Carbonicum-Labrador“ oder den „Lycopodium-Schäferhund“. Niemals dürfen wir uns aber vom bloßen Erscheinungsbild oder womöglich von der Rasse alleine leiten lassen und die konkrete Pathologie außer Acht lassen.
Viele der typischen, angeborenen Reaktionsmuster bleiben im späteren Leben erhalten. Im homöopathischen Anamnesegespräch erzählen uns die Tierbesitzer dann z. B., dass sich ihr Liebling nach einer Rüge beleidigt in eine Ecke zurückzieht (viele Mittel, u. a. Calc Staph Caust Lyc). Beim „lycopodischen Schäferhund“ würde die Reaktion davon abhängen, wer ihn rügt. Nach einer Zurechtweisung durch einen Tierbesitzer, welchen er als Chef respektiert, zieht er sich unterwürfig und beleidigt zurück. Mahnende Worte eines fremden Kindes könnte er auch mit einem ungehaltenen Knurren quittieren (Repertoriumsrubrik: Gemüt – hart zu Untergebenen, freundlich zu Vorgesetzten). Wir können die Typologien also dazu benutzen, in der Anamnese gezielter zu fragen, um idealerweise bestätigende Symptome zu bekommen.

201502 Homooe4

Verändert sich die Konstitution im Laufe des Lebens?

Die Frage, ob sich die Grundkonstitution eines Tieres im Laufe des Lebens im Sinne einer Veränderung der genetischen Prägungen verändert, können wir hier nicht lösen. Sicher ist aber, dass unsere Patienten „ihre“ Reaktionsmuster verlassen, wenn ein Reiz zu stark wird oder der Organismus schon zu geschwächt ist. Solange das Tier in seinem Reaktionsmuster bleibt, sprechen wir von einer „konstitutionellen Verordnung“ im eigentlichen Sinn. Kommen andere Symptome auf, d. h. verlässt unser Patient seine angeborenen Reaktionspfade, ist es unsere Aufgabe, ein Arzneimittel zu finden, welches dem neuen Symptombild bestmöglich entspricht. Eine Verordnung auf die ursprüngliche Konstitution hätte wenig oder sogar keine Wirkung mehr.
In unseren tierhomöopathischen Praxen ist der Anteil chronisch kranker Tiere besonders hoch. Diese Patienten leiden i. d. R. schon längere Zeit an ihren Beschwerden, gingen durch die Hände mehrerer Tierärzte oder Tierheilpraktiker, haben Medikamente eingenommen oder einfach nur „ein langes Leben hinter sich“. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei diesen Patienten die ursprüngliche Konstitution als oberste Schicht erhalten geblieben ist, ist gering. Viel häufiger sehen wir übereinandergelagerte Schichten von Arzneimitteln, unter denen zuunterst die „Konstitution“ verborgen ist. Nur die allergesündesten Tiere zeigen ihr Leben lang dasselbe Arzneimittelbild.

Welchen Wert hat diese Information für die homöopathische Behandlung?

201502 Homooe3Es ist wichtig und hilfreich, die Konstitution eines Tieres zu kennen. Sie ist die unterste, tiefste Schicht. Sie zeigt die Verfassung, mit dem das Tier ins Leben gestartet ist. Ein echtes konstitutionelles Mittel zu verabreichen bedeutet Einflussnahme auf die innersten Strukturen des Organismus.
Die Konstitution hilft zu verstehen, in welche Richtungen sich ein Tier im Laufe des Lebens weiterentwickeln könnte, mit welchen Strategien (Symptomen) der Organismus auf physische und psychische Reize reagiert.
Natürlich reagiert jedes Tier im Einzelfall individuell, um wieder in Balance zu kommen. Der Labrador, der mit einer Calcium-Carbonicum-Konstitution auf die Welt gekommen ist, wird im Akutfall aber eher zum „Belladonna-Hund“ als zum „Aconitum-Hund“ (Belladonna ist das Akutmittel zu Calcium Carbonicum). Und der o. g. „Lycopodium-Schäferhund“ reagiert auf Stresssituationen eher mit Blähungen und anderen Verdauungsbeschwerden oder Beschwerden der Blase als mit Hautausschlägen (s. die Leitsymptome von Lycopodium im Steckbrief).
Konstitutionelle Mittel stammen fast alle aus den Reihen der großen Polychreste. Diese haben aber nicht nur eine Vielzahl von Symptomen, es steckt auch jeweils eine ganz bestimmte Mittelidee – eine Essenz – dahinter. Diese Essenz ist ein Blick auf die innersten Muster und Beweggründe und erlaubt ein viel tieferes Verständnis des Patienten.
201502 Homooe6Wenn wir in unserem Beispiel des „Lycopodium-Schäferhundes“ das Arzneimittel Lycopodium als zugrunde liegende Konstitution erkennen, wissen wir auch, dass das Knurren und Zähnefletschen, von dem der Tierbesitzer berichtet, nicht auf Aggression und Bösartigkeit, sondern auf einer tiefen Unsicherheit beruht.
Letztlich ist die Kenntnis der Konstitution eines Tieres für uns auch ein Hilfsmittel, um eventuelle Störungen im späteren Leben vorherzusehen und ggf. auch frühzeitig gegenzusteuern. Am Beispiel unseres „Lycopodium-Schäferhundes“: Bei ihm werden wir in der Ernährungberatung großes Augenmerk auf leichte Verdaulichkeit des angebotenen Futters legen. Wird „Lycopodium“ älter, werden wir bei ihm aufgrund seiner Neigung zu Beschwerden der Blase in der Vorsorgeuntersuchung auf regelmäßige Ultraschalluntersuchung der Harnorgane bestehen (s. Leitsymptome Lycopodium im Steckbrief).

Zusammenfassend können wir sagen:

  • Ja, es gibt „DIE“ Konstitution. Sie bezeichnet die Summe aller angeborenen und in der Prägungsphase erworbenen Eigenschaften eines Tieres.

  • Eine Verordnung auf dieser Ebene ist die tiefstmögliche und wirksamste Einflussnahme auf den Organismus. Diese Konstitution wird im Laufe des Lebens von verschiedensten Einflüssen überlagert, die eines oder mehrere andere Arzneimittel erforderlich machen, um diese Schichten wieder abzutragen.

  • Die Kenntnis der Konstitution eines Patienten hilft uns beim Verständnis des Tieres und des Verlaufs seiner physischen und psychischen Pathologie.

  • Wenn es uns gelingt, nicht nur die oberste, aktuell zu behandelnde Schicht zu identifizieren, sondern auch die zugrunde liegende Konstitution, wird unser langfristiger Verordnungserfolg besser.

MMAG. ISOLDE HEIM MMAG. ISOLDE HEIM
TIERHEILPRAKTIKERIN UND HUMANENERGETIKERIN

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