Die 5 Säulen der TCVM: Teil 4 – Ernährung
Rechtzeitig zur Weihnachtszeit befassen wir uns mit einem Thema, das für die Gesunderhaltung unserer Patienten eine besonders große Rolle spielt: der Ernährung. Die richtige Zusammensetzung der täglichen Futterration ist nicht nur eine besonders wichtige Säule der TCVM, sie ist auch ein Bereich, in dem wir beim Tierbesitzer oft auf taube Ohren stoßen. Viele sind bereit, ihren Tieren teure Therapien zu bezahlen, verbringen Stunden bei Tierärzten oder naturheilkundlichen Therapeuten und investieren hunderte von Euro dafür. Manche sind sogar bereit, einige kleine Massagegriffe zu erlernen und verwöhnen damit Hund, Katze und Pferd zwischen den Therapiesitzungen. Das ist alles richtig und gut – aber: Eine der wichtigsten und wirkungsvollsten Maßnahmen wird häufig vergessen. Die Tierbesitzer wollen nichts an den Fütterungsritualen ändern, weil solche Umstellungen zunächst einmal nach mehr Arbeit klingen und Veränderungen der eingefahrenen Routinen erfordern würden – wie sie denken. Während es in der menschlichen Ernährungswissenschaft ganz klar ist, dass frisch zubereitete Nahrungsmittel aus natürlichen Rohstoffen und ohne Zusätze am gesündesten sind, glauben viele noch immer, dass das bei Tieren anders ist: Trockenfutter und Futter aus der Dose werden als bestmögliche Nahrung verkauft. Es besteht also noch ein gewisser Nachholbedarf im Bereich der Veterinärmedizin.
Die Rolle der Ernährung aus chinesischer Sicht
Die chinesische Medizin stellt die Ernährung in den Mittelpunkt jedes Therapiekonzeptes. Insbesondere bei chronischen Erkrankungen ist es nicht möglich, ohne Zuhilfenahme von Nahrungsmitteln langfristig heilend einzuwirken. Je nach Diagnosestellung wird ein gut ausgebildeter TCVM-Therapeut ein Set von Akupunkturpunkten wählen, eine passende Kräutermischung erstellen und Ernährungsempfehlungen geben.
Die Bedeutung von Nahrung lässt sich in der Welt der TCVM ganz leicht erklären: Jedem Organismus stehen zwei große Energiequellen zur Verfügung: die vorgeburtliche Essenz, die in der Niere gespeichert ist, und die nachgeburtliche Essenz. Die vorgeburtliche Essenz bestimmt sich durch die genetische Veranlagung des Tieres, sie wird bei der Zeugung von den Elterntieren auf den Fötus übertragen und in den ersten Lebensmonaten gefestigt – sie ist also ein Datum und ist nicht oder kaum veränderbar. Das Tier muss von dieser Essenz zeitlebens zehren. Bei der nachgeburtlichen Essenz ist das anders: Sie wird im Mittleren Erwärmer, im Zang-Organ Milz, gebildet, und ist das Ergebnis eines Extraktions- und Transformationsprozesses, für den hauptsächlich die Milz verantwortlich ist. Der Milz kommt in der TCVM eine viel größere Rolle zu, als wir es aus der westlichen Medizin kennen. Chinesisch heißt Milz „Pi“, das Wort steht für eine große Anzahl an zentralen Aufgaben im Körper. Diese – chinesische – Milz ist dafür zuständig, dass aus dem Futter möglichst viel und möglichst gute Energie (Qi) gewonnen wird. Über mehrere Umwandlungsstufen wird dieses Qi immer weiter verfeinert und steht dem Organismus für alle Lebensfunktionen zur Verfügung. Je besser das Qi ist, das die Milz produziert, desto gesünder ist das Tier und umso besser sind seine Abwehrkräfte. Je größer der Anteil des Energiebedarfs ist, der aus dieser nachgeburtlichen Essenz abgedeckt werden kann, umso weniger müssen die in der Niere gelagerten Reserven – die nachgeburtliche Essenz – angezapft werden. Wir können mit der Ernährung großen Einfluss auf den Energiehaushalt ausüben. Sun Si Miao, einer der bekanntesten Ärzte, die in China gelebt haben, sagte:
„Wenn man Krankheiten behandelt, so ist der erste Schritt immer die Ernährungstherapie. Nur in Fällen, in denen damit kein Erfolg erzielt werden kann, sollen Kräuter eingesetzt werden. Ohne Verständnis für gesunde, dem Individuum entsprechende Ernährung ist es kaum möglich, Gesundheit zu erlangen.“
Die zentrale Bedeutung, die Ernährung in der chinesischen Medizin hat, kann man schon am auch bei uns bekannten und häufig verwendeten Zeichen für Qi-Energie sehen. Das chinesische Schriftzeichen versinnbildlicht einen Kochtopf, in dem Reis gekocht wird und aus dem der feine Duft – die Essenz – aufsteigt.
Aus den alten westlichen Schriften über Medizin kennen wir ähnliche Aussagen über die Bedeutung der Nahrung – wie z.B. von Hippokrates: „Lass Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung“.
Unterschiede und Besonderheiten der Ernährungslehren
Westliche Ernährungslehre und Ernährungslehre nach TCVM haben unterschiedliche Ansätze.
IM WESTEN: WISSENSCHAFTLICHER ANSATZ
- Analytische Sicht
- Verallgemeinerung -> „Standards“
- Energiebedarf; Nährwertberechnungen
- Nährstoffe
- Vitamine
- Spurenelemente
- Proteine, Fette, Kohlenhydrate …
- Calcium/Phosphor
IN DER TCVM-ERNÄHRUNG: GANZHEITLICHER ANSATZ
- Berücksichtigung unterschiedlicher Konstitutionen
- 5 Elemente
- Ausgewogenheit, das energetische Verhältnis der Nahrungsmittel und die individuelle Diagnostik haben Vorrang
Die westliche und die chinesische Ernährungslehre nähern sich der Aufgabe von zwei verschiedenen Seiten: Der Hauptunterschied zwischen ihnen besteht darin, dass wir im Westen bei der Zusammensetzung unserer Nahrung sehr analytisch vorgehen, die Nahrung in ihre Bestandteile zerlegen und fast mathematisch genau berechnen, was der Organismus zum Leben benötigt, während die chinesische Medizin den bekannten ganzheitlichen Ansatz wählt. Ernährung nach den Regeln der TCM/ TCVM umfasst zwei große Richtungen. Die eine Ausprägungsform ist die, die wir in vielen Büchern nachlesen können, in denen es um Ernährung nach den 5 Wandlungsphasen geht.
ERNÄHRUNG NACH DEN 5 WANDLUNGSPHASEN bedeutet, dass bei der Auswahl der Nahrungsmittel darauf geachtet wird, dass in einer Mahlzeit Zutaten aus allen Wandlungsphasen verwendet und die Bestandteile in einer bestimmten Reihenfolge verarbeitet werden. Ausgewogenheit ist das Ziel. Mit ausgewogener Nahrung kann die Milz besser arbeiten. Die TCVM kann aber noch viel mehr. Wie Hippokrates beschrieben hat, können Nahrungs- und Futtermittel als Medizin eingesetzt werden, wenn sie gezielt und auf Basis einer individuellen TCVM-Diagnostik ausgewählt werden.
MEDICAL FOOD ist der englische Fachbegriff für diesen therapeutischen Ansatz. Ebenso wie Akupunkturpunkte und Kräuter werden Nahrungsmittel nach dem Konzept der 8 Leitkriterien zusammengesetzt. Besonders wichtig ist die thermische Qualität der Nahrung. Wie bei Kräutern gibt es Futtermittel, die thermisch heiß, warm, kühl oder kalt sind. Die Temperatur des Nahrungsmittels bezieht sich dabei auf die Wirkung, die es im Organismus erzielt. Zum Beispiel ist Rindfleisch thermisch neutral/warm, Entenfleisch und Pute sind, wie die meisten Fischsorten, kühl. Zu den thermisch heißen Fleischsorten zählen Wild, Lamm und Ziege. Analog zur Phytotherapie werden kühlende Fleischsorten bei Hitzeerkrankungen eingesetzt, während wärmende/heiße Fleischsorten dann auf dem Speiseplan stehen sollten, wenn das Tier zu viel Kälte im Körper hat oder das Yang-Qi zu schwach ist.
EIN KONKRETES BEISPIEL: Ein Hund, der an einer allergischen Erkrankung der Haut leidet, deren Hauptsymptome Jucken, ständiges Kratzen, gerötete Haut und immer wieder Blutungen aus den offenen Stellen sind, und der darüber hinaus unruhig und leicht reizbar ist, leidet nach der Diagnostik der TCVM an „Wind-Hitze in der Blutschicht“. Für diese Erkrankung benötigt das Tier kühlende Nahrungsmittel wie Ente oder Weißfisch. Das vom Tierarzt häufig im Rahmen einer Ausschlussdiät verordnete Wildfleisch wäre tabu, weil es die im Körper bereits angesammelte Hitze noch weiter verstärken würde.
EIN ZWEITES BEISPIEL: Einer älteren Katze, die meist hinter dem Ofen liegt, bei kaltem Wetter nur ungern das Haus verlässt, generell eher müde und schlapp wirkt, fehlt Qi und/oder Yang-Energie. Für sie wäre eine wärmende Diät vorzuziehen.
GETREIDE, OBST, GEMÜSE: Was für Fleischsorten gilt, gilt natürlich auch für Getreide, Obst- und Gemüsesorten. Rispenhirse ist ein warmes Nahrungsmittel, Weizen kühlt. Kürbisse und Walnüsse sind thermisch warm klassifiziert, Gurken kühlen den Organismus ab.
Durch entsprechende Zubereitung kann die Thermik der Nahrungsmittel verändert werden. Frisch zubereitetes Futter, das roh gefüttert wird, ist am kühlsten. Geröstet oder gegrillt wird dasselbe Nahrungsmittel deutlich wärmer auf den Organismus wirken. Je höher der Wassergehalt in einem Futtermittel, desto kühler ist es. Je mehr Verarbeitungsschritte ein Futtermittel durchläuft, desto wärmer wird es. Trockenfutter ist mehrfach bearbeitete Nahrung – und steht somit auf der Thermikleiter ganz oben.
KOMPLIZIERT? Nein, gar nicht. In der TCVM gibt es nur wenige Verbote, es gibt keine „schlechten“ oder „guten“ Nahrungsmittel. Ausschlaggebend ist, dass sie entsprechend den Bedürfnissen des Tieres und nach genauer TCVM-Diagnostik ausgewählt und kombiniert werden.
Die Palette der Nahrungsmittel, die für die Fütterung unserer Haustiere zur Verfügung steht, ist natürlich beim Hund am breitesten. Hundepatienten können sehr gut mit Ernährungstherapie behandelt werden. Etwas eingeschränkter sind die Möglichkeiten bei Katzen und Pferden. Katzen sind wählerisch, und es ist meist nicht sehr einfach, ihre Ernährungsgewohnheiten zu beeinflussen. Sofern sie mit Feuchtfutter ernährt werden, kann man jedoch ganz gut die Wahl der Fleischsorten an ihre Bedürfnisse anpassen. Auch bei Pferden haben wir einige Gestaltungsmöglichkeiten: Zum Beispiel ist frisches Gras kühlender als Heu. Beim Saftfutter wählt man Birnen als kühlendes, Blut und Säfte nährendes Nahrungsmittel, wenn wir am Tier eine Yin-Pathologie diagnostiziert haben. Nach dem Abfohlen hilft die neutrale/ wärmende und Blut tonisierende Rote Beete der Stute bei der Regeneration. Auch Öle haben unterschiedliche thermische Qualität. So ist ein Mash, dem wir Leinöl beigeben, kühlender als eines, in das einige Teelöffel wärmendes Rapsöl eingerührt wird.
Die richtige Wahl der Nahrungsmittel im Hinblick auf ihre Thermik ist das wichtigste Steuerungsinstrument der Ernährung. EINE DAUMENREGEL SAGT: Wenn die Zusammensetzung der Thermik sorgfältig gemacht wurde, ist die Mischung zu 80 Prozent richtig. Eine derart zusammengestellte Futterration unterstützt sowohl Akupunktur als auch Kräuterrezeptur.
OHNE KRÄUTER: Bei manchen Patienten können oder wollen wir keine Kräuter einsetzen. In solchen Fällen kann die Futterration noch spezifischer zusammengestellt und als Alternative zur Kräuterrezeptur eingesetzt werden. Hier stellt der TCVM-Ernährungsberater einen Ernährungsplan zusammen, der in den Wirkungen einer Kräuterrezeptur entspricht bzw. ihr sehr ähnlich ist.
EIN BEISPIEL: Wenn ein Hund an Qi-Mangel leidet, zeigt er meist folgende Symptome: Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Beschwerden, die sich bei Anstrengung verschlechtern, weicher Kotabsatz, schwache Muskulatur. Die Magisterrezeptur in solchen Fällen ist Si Jun Zi Tang (Dekokt der 4 Edlen). Si Jun Zi Tang ist ein Klassiker, eine sehr alte und gut ausbalancierte Kräutermischung, die die Basis für viele weitere Verordnungen bildet. Das hinter ihr stehende Therapiekonzept lautet: Qi tonisieren, Mitte stärken, Feuchtigkeit ausleiten. Auch Nahrungsmittel können diese Funktionen erfüllen. Si Jun Zi Tang als Futtermischung könnte z.B. Huhn (als Qi-Tonikum), Hafer und Roggen (Qi- und Milz-Tonika), Champignons (Feuchtigkeit ausleitend), eine kleine Menge Koriander oder Kardamom (harmonisierende Wirkung) enthalten.
BEACHTEN SIE: Mengenverhältnisse und Kalorienbedarf sind mittels Ernährungsumrechner individuell zu bestimmen und daher in dieser Grafik nicht enthalten.
Diese oben beschriebene Futtermischung dient als Ersatz für eine Kräuterrezeptur und ist wie diese nur während einer gewissen Zeitspanne zu verabreichen. Sie bildet keine ausgewogene Ernährung. Sobald die Symptome abgeklungen sind, muss die Mischung entsprechend angepasst werden.
Fazit
Wie Sie sehen, sind also die Gestaltungs- und Therapiemöglichkeiten, die uns Nahrungsmittel zur Verfügung stellen, sehr vielfältig. Ernährung ist eine vollwertige Säule jedes TCVM-Behandlungskonzepts. Die synergistischen Wirkungen können wir uns zunutze machen, um unseren Patienten noch besser und rascher zu helfen.
WIE GEHT ES WEITER? Wir haben bisher über Akupunktur, Kräuter und Ernährung gesprochen. In der nächsten Ausgabe beschäftigen wir uns mit der manuellen Therapieform der TCVM: TUINA.
MMAG. ISOLDE HEIM
TIERHEILPRAKTIKERIN, HUMANENERGETIKERIN
TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
- Tierhomöopathie
- Traditionelle Chinesische Veterinärmedizin
- Phytotherapie
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