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Gewalt in der Hundeerziehung: Warum darauf völlig verzichtet werden sollte

201501 Gewalt1GEDANKEN ZU EINEM HEISSDISKUTIERTEN THEMA

Wenn man viel mit Hunden arbeitet, kommt man zwangsläufig mit dem Thema „Gewalt in der Hundeerziehung“ in Berührung. Doch schon beim Wort „Gewalt“ gibt es verschiedene Meinungen, was überhaupt als Gewalt angesehen wird. Grundsätzlich ist alles, was dem Tier vermeidbare physische oder psychische Schmerzen zufügt, Gewalt. Offensichtliche Gewalt sind z. B. Schläge, Tritte, Zwicken, Leinenrucken, Stachelhalsband, Strom- und Würgehalsband. Nicht so offensichtlich sind diverse andere Methoden, die dann eher auf die Psyche des Tieres mittels Angst oder Unwohlsein einwirken. Hier werden gerne genommen: Sprühhalsband, Wurfkette, Rütteldose, Wasserflasche, aber auch Schreien, auf den Rücken werfen (Unterwerfen) und Drohen.

Erklärungen für das Anwenden von Gewalt in der Hundearbeit gibt es leider auch sehr viele:

  • 201501 Gewalt2Die Psychologie macht es auch (behavioristische Lerntheorie, positive Strafe)
  • Mit Red Zone Dogs kann man nur so arbeiten
  • Man muss dem Hund zeigen, wer der Chef ist
  • Das machen die Wölfe untereinander auch so
  • Ohne Druck erreicht man gar nichts
  • Dominanz muss man sich erarbeiten

Aber wenn man ehrlich ist, geht es eigentlich nur schneller und einfacher, wenn man mittels Strafe arbeitet. Denn es ist einfacher zu schimpfen, zu drohen oder zu zwingen, als das Verhalten zu hinterfragen (Warum tut mein Hund was er tut und wie zeige ich ihm, dass ich das Verhalten nicht will?). Denn dann müsste man sich eventuell eingestehen, dass der Hund einen nicht versteht, weil man sich nicht verständlich machen kann (und so liegt der schwarze Peter eigentlich beim Halter und nicht beim Hund).
201501 Gewalt3Auch sollte man sich fragen: Ist schneller Erfolg gleichbedeutend mit gelernt? Und wie nachhaltig ist dieses so „erlernte“ Verhalten? Schaut man sich das Lernverhalten von Hunden an, geht man heutzutage davon aus, dass der Hund von sich aus alles versucht, um seinem Halter zu gefallen. Es ergibt ja auch keinen Sinn, absichtlich ein falsches Verhalten zu zeigen, denn das würde unter Umständen sogar das Überleben in der Natur gefährden. Die Kunst ist also nur, dem Hund verständlich zu machen, was ich als Halter von ihm will. Dabei besteht die Möglichkeit, über positive Verstärkung zu arbeiten oder aber über Strafe bei Fehlern. Gegen positive Verstärkung wird dann gerne mit „Ich bin doch kein Leckerliautomat“ oder „Der Hund soll folgen, weil ich das will und nicht wegen der Belohnung“ argumentiert. So wird schließlich richtiges Verhalten als normal angesehen und Fehlverhalten bestraft. Was dabei gerne übersehen wird, ist, dass Druck beim Hund negativen Stress basierend auf Angst erzeugt. Ein Hund im negativen Stress kann aber nicht lernen. Er wird in ein Meideverhalten gedrückt. Das heißt der Hund wird nervös sein ganzes Können abrufen (und darunter hoffentlich auch das vom Halter geforderte Verhalten), um der Strafe zu entgehen. Aber ist das gelernt? Und wie lange hält das? Denn halten kann so etwas normalerweise nur, solange der Druck aufrechterhalten wird. Und gelernt wurde vom Hund maximal, dass sein Halter für ihn unberechenbar ist. Daher entsteht auch nicht das gewünschte Vertrauen zwischen Hund und Halter, sodass dann jedes Training aufs Neue zu einer stressigen Herausforderung für Hund und Halter wird. Wenn nun die Rekonvaleszenzzeit zwischen den Stresssituationen zu gering ist, kann der Druck zu ernsten Problemen führen. Das kann von hyperaktiven, nervösen Stressbellern und Jaulern über unsichere, ängstliche Hunde zu erlernter Hilflosigkeit führen. Im schlimmsten Fall kann daraus sogar gefährliches Problemverhalten, wie z. B. Aggression gegenüber anderen Hunden, dem Halter oder anderen Menschen entstehen.

201501 Gewalt4Ab diesem Moment kommt man in eine Zwickmühle, denn durch Gewalt und Überforderung hat man den Hund in ein Fehlverhalten getrieben und versucht dann mit den gleichen Mitteln, den Hund wieder „zu erziehen“.
Das bringt uns zum nächsten Punkt: Was bewirkt Gewalt in der Problemarbeit? Zunächst muss man natürlich abklären, warum das Verhalten gezeigt wird, denn einem Hund, der durch körperliche Schmerzen aggressives Verhalten zeigt, wird man mit Druck und Gewalt nicht helfen können und auch hormonelle Erkrankungen lassen sich durch Strafe nicht heilen. Aber ist Strafe wenigstens Mittel und Zweck bei erlerntem Fehl- oder Problemverhalten?

Zwar kann ein durch Strafe unterdrücktes Verhalten zunächst wie ein Erfolg aussehen, aber was ist es wirklich? Angst! Und aus Angst hat noch niemand etwas gelernt. Das einzige, was der Hund lernt (aber nur, wenn man alles richtig umgesetzt hat, was die Psychologie unter „Strafen, um unerwünschtes Verhalten zu unterbinden“ vorschreibt, nämlich die richtige Strafintensität und den korrekten Zeitpunkt, um einen genauen Bezug zur Handlung herzustellen), ist, das Verhalten zu unterlassen. Aber was er für Alternativen hat, sagt dem Hund niemand. Daher kann man hier auch nicht von gelernt, sondern nur von unterdrückt sprechen.

  • Strafe ist auch nicht hilfreich, negative Emotionen in positive umzuwandeln. Das heißt, aus Angst wird durch Strafe keine Sicherheit und aus Wut/Aggression auch keine Freude. Oftmals ist es eher so, dass Strafen diese Emotionen noch verstärken und aus diesen Emotionen entstehen doch eigentlich erst viele Probleme.
  • Genauso fatal kann es sein, wenn der Hund die Strafe falsch verknüpft, da er zu einem falschen Zeitpunkt und/oder in unangemessener Intention bestraft wurde. Dadurch schafft man mehr Probleme, als man ohnehin schon hatte.
  • Auch darf man nicht vergessen, dass körperliche und auch psychische Gewalt gegen den Hund von diesem als direkter Angriff gegen sich gesehen wird. Das kann solange ohne Folgen bleiben, wie die Bedrohung und der Druck aufrecht erhalten werden. Lässt dieser Druck aber nach, ist die Gefahr groß, dass der Hund aggressiv antworten wird.
  • Bei Hunden, die durch Gewalt in ein aggressives Verhalten gegen Menschen gebracht wurden, ist die Gefahr des Gegenangriffs noch viel größer, da der Hund gelernt hat, Angriffe gegen sich mit Aggression zu beantworten.

Ein weiterer interessanter Punkt in Bezug auf Strafe bei der Hundearbeit ist das Tierschutz-Gesetz und die Tierschutz- Hundeverordnung. Insbesondere zu nennen wären hier das Tierschutz- Gesetz, in dem geschrieben steht:

  • §1 … Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
  • §2 Abs. 2: … Darf die Möglichkeit der artgemäßen Bewegung nicht so einschränken, dass dem Tier Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden.
  • §3 Abs. 1: … Es ist verboten, Leistungen abzuverlangen, denen es nicht gewachsen ist oder seine Kräfte übersteigt.
  • §3 Abs. 1a: … Behandlungen vornehmen, um einen leistungsmindernden Zustand zu verdecken …
  • §3 Abs. 1b: … Training, Wettkampf oder ähnliche Maßnahmen, die mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sind, zu ergreifen, um die Leistung zu steigern.
  • §3 Abs. 5: … Ein Tier auszubilden oder zu trainieren, sofern damit erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind.
  • §3 Abs. 8a: … Ein Tier zu aggressivem Verhalten auszubilden, dass dieses Verhalten bei ihm zu Schmerzen, Leiden oder Schäden führt oder beim Kontakt zu Artgenossen zu Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier oder die Artgenossen führt oder eine Haltung dadurch nur noch unter Bedingungen möglich ist, welche zu Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier führt.
  • §3 Abs. 11: … Ein Gerät zu verwenden, dass durch direkte Stromeinwirkung das artgemäße Verhalten einschränkt …
  • §11 Abs. 1 Nr. 8f: (Erlaubnispflicht für Hundetrainer)

Und auch die Tierschutz-Hundeverordnung, die besagt:

  • §8 Abs. 1: (… zu pflegen und für seine Gesundheit Sorge zu tragen)

Das wirft noch einen anderen Punkt auf, den man unbedingt betrachten sollte: Was hat es denn für Folgen für die Gesundheit des Hundes, wenn man den Hund über diverse Strafen erzieht?

Viele werden natürlich die Geschichte von dem Hund kennen, der nach erfolgter Strangulation als erzieherische Maßnahme aufgrund von Spätfolgen eingeschläfert werden musste. Das ist natürlich ein Extremfall. Aber was kann denn alles passieren?
Der eine Punkt ist der körperliche Aspekt, gerade beim Leinenruck, egal ob mit oder ohne Würge- oder Stachelhalsband. Diese gerne genommene Variante kann zu diversen Problemen führen. Zu nennen wären hier insbesondere:

  • Verspannungen und Verhärtungen der Muskulatur gerade im Bereich der Halswirbelsäule.
  • Nervenschäden, gerne auch im Halswirbelbereich.
  • Die Gefahr eines Bandscheibenvorfalls steigt an (in der ganzen Wirbelsäule).
  • Die Gefahr, dass der Hund an Spondylose erkrankt, steigt an.
  • Die Gefahr der Kehlkopfentzündung nimmt rapide zu, gerade wenn man dazu auch noch das Würgehalsband einsetzt. Diese kann chronisch werden und im schlimmsten Fall dazu führen, dass der Hund stumm wird.
  • Was man auch gerne vergisst, ist, dass der Augeninnendruck durch Würgen und Leinenrucken ansteigt, was die Augenkrankheit „Grüner Star“ begünstigt.
  • Als weitere Variante wäre hier der Kick mit dem Fuß in die Seite des Hundes zu nennen, welcher, wenn er „richtig“ ausgeführt wird, auf die Nieren zielt. Er sieht zwar harmlos aus und die Niere ist durch eine Fettkapsel geschützt, aber je nach Intensität kann das vom einfachen Schmerz über eine Nierenprellung bis hin zu Schädigungen der blutzuführenden oder harnableitenden Gefäße führen. Aber auch die anderen Bestrafungen können, je nach Intensität und Stelle, an der sie eingesetzt werden, eine Vielzahl an körperlichen Folgen nach sich ziehen, wie z. B. Prellungen, Verstauchungen, gebrochene Knochen oder verletzte Organe.

Ein anderer Faktor ist der psychische Aspekt. Diesen Punkt haben die körperlichen Strafen (denn körperliche Strafen erzeugen Schmerz und/oder Angst und dadurch Stress) und die psychischen Strafen (sie erzeugen Angst und/oder Unwohlsein gerade durch ihre Unberechenbarkeit z. B. bei den Sprühhalsbändern) gemeinsam. Dadurch kann es dann zu psychischen Problemen kommen. Ganz schlimm wird es, wenn man den Hund straft, ohne ihm eine Alternative zu bieten. Das passiert gerne bei den strafbasierenden Methoden, welche man auf Entfernung einsetzen kann, wie den Teletac, das Sprühhalsband oder die Wurfkette, da man hier auf Entfernung strafen, aber nicht eine Alternative anbieten kann. So weiß der Hund zwar, dass sein (in diesem Moment für ihn richtiges) Verhalten bestraft wird (sprich für ihn Schmerz oder Unwohlsein bedeutet), aber aufgrund mangelnder (da nicht gelernter) Alternative kann er kein anderes Verhalten zeigen. Dadurch kann es wieder zu verschiedenen negativen Auswirkungen kommen, wie z. B.

  • Meideverhalten: Der Hund wird bestimmte Situationen aus Angst vor Strafe meiden. Das sieht im ersten Moment nach Erfolg aus, bedeutet für den Hund aber Dauerstress, der gesundheitsschädlich ist. Beispiel: Der Hund „klaut“ kein Essen mehr vom Tisch, da er dabei körperlich bestraft wurde. Er geht jetzt einen großen Bogen um den Tisch, weil er in der Nähe des Tisches Schmerzen erfährt. Er meidet den Tisch.
  • Aversionen (ähnlich wie Meideverhalten): Der Hund entwickelt eine Abneigung gegen bestimmte Situationen, die für ihn negativ verknüpft sind. Beispiel: Der Hund geht nur unter Stress auf den Hundeplatz, weil da mit Leinenruck gearbeitet wird. Der Hund mag den Platz nicht.
  • Erlernte Hilflosigkeit: Durch fehlende Alternativen, falsches Strafen (falscher Zeitpunkt, Intensität etc.) oder Inkonsequenz vom Halter (mal darf der Hund machen, was im nächsten Moment per Strafe „verboten“ wird), weiß der Hund nicht, was erlaubt ist. Dem Hund fehlt die Coping-Strategie, daher macht er lieber nichts, da er nicht weiß, welches Verhalten Auslöser für die Strafe ist, welcher er entgehen möchte. Das heißt, der Hund wird irgendwann aus Angst nicht mehr in der Lage sein, eine eigenständige Entscheidung zu treffen.
  • Aggression: Sie kann zum einen als Abwehrreaktion entstehen, da Gewalt gegen den Hund von diesem als Angriff auf sein Leben gesehen wird. Sie kann aber auch falsch verknüpft werden, gerade bei Strafen auf Entfernung. Hierzu ein Beispiel: „Der Hund soll mittels Sprühhalsband nicht mehr bellen. Als Impuls kommt ein Jogger vorbei, welchen der Hund mit dem Impuls verknüpft. Ab da sind Jogger gefährlich … Oder durch dauerndes Strafen ohne Alternative steigt die Frustration und entlädt sich irgendwann in Gewalt.
  • Depressionen: Sie entstehen gerade bei Hunden, die in ständiger Angst oder in einem Zustand von ständig erhöhtem Stress leben. Die Depression ist hier auch eine Steigerung der erlernten Hilflosigkeit, bei der die Psyche schon Schaden genommen hat.
  • Zwangshandlung: Sie ist nicht zu verwechseln mit Stereotypien (wenn auch Ursache und Verhalten ähnlich sind). Sie werden gezeigt, um Stress abzubauen. Dabei hat der Hund gelernt, dass ein bestimmtes Verhalten den Druck abbaut. Es ist eine zielgerichtete Handlung. Hier ist die Endhandlung das Ziel und beruhigt. Beispiel Pfoten lecken: Der Hund hat die Erfahrung gemacht, dass Pfoten lecken ihm schon mal in einer Situation Linderung gebracht, also geholfen hat (Entzündung durch Lecken gekühlt). Wenn er jetzt zu viel Stress hat, leckt er sich als Ventil für den Stress, weil das Lecken schon früher Linderung gebracht hat.
  • Stereotypien: Diese werden auch als Ventil für übermäßigen Stress gebraucht. Im Unterschied zur Zwangshandlung ist es aber eine Handlung ohne Ziel, d. h., die Aktion selbst ist das Ziel, welche beruhigt. Beispiel Schwanz jagen: Der Hund jagt seinen Schwanz, um übermäßigen Stress abzubauen. Hier baut die Bewegung den Stress ab.

201501 Gewalt5Grundsätzlich sollte man aus diesen Gründen nicht vergessen, dass ein Hundetraining ohne Gewalt unbedingt vorzuziehen ist, auch wenn es über positive Verstärkung manchmal etwas schwieriger ist, bis man in der Lage ist, seinem Hund das gewünschte Verhalten zu zeigen. Aber bei den dargestellten negativen Folgen von Gewaltanwendung glaube ich, dass es sich lohnt. Die intensive positive Beschäftigung mit dem Hund fördert zudem die enge Beziehung zwischen Hund und Halter. Natürlich kann man jetzt sagen, dass jeder Hund ein Individuum ist und sein persönliches Lernprogramm braucht. Aber man sollte dabei immer bedenken, was ein auf Strafe basierendes Programm anrichten kann, da die Ursachen zum großen Teil auch tierschutzrelevant sind und auf jeden Fall nicht schön für unseren Partner Hund.

THORSTEN BEHNLE-NAPIERALATHORSTEN BEHNLE-NAPIERALA
HUNDETRAINER, PROBLEMHUNDETHERAPEUT, ERNÄHRUNGSBERATER FÜR HUNDE, TIERHEILPRAKTIKER
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