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Verletzungen im Brustkorbbereich bei Vögeln: Erste Hilfe

Während Verwundungen und andere Beeinträchtigungen an Beinen und Flügeln meistens nur indirekt das elementare Überleben bedrohen, stellen ebensolche am Rumpf oft eine akut gefährliche Situation dar. Dies umso mehr, da sie nicht immer sofort erkennbar und deren veterinärmedizinischer Behandlung Grenzen gesetzt sind.

RISS- UND STICHVERLETZUNGEN

Über Riss- und Stichverletzungen durch Greifvögel und Säugetiere müsste eigentlich ein gesondertes Kapitel geschrieben werden. Allein aufgrund der hohen Infektionsgefahr gelten sie immer als Notfall, sollten umgehend zum Tierarzt gebracht und antibiotisch versorgt werden. Entwischt ein Vogel z.B. den Krallen einer Katze, fällt die Diagnose meistens leichter, da eher mit auffälligen Wunden, die sich bis zum Schwanz hin erstrecken können, manchmal einschließlich des Abrisses desselben, zu rechnen ist. Vorsicht: Unter Schürfwunden können sich zusätzlich tiefere Einstiche verbergen!

SCHOCKMAUSER

Manchmal gehen büschelweise Teile des Gefieders durch Schockmauser verloren – ein letzter verzweifelter Akt, um dem Angreifer zu entkommen. Das erleichtert es dem Therapeuten, auch mehr oder weniger punktförmige Kralleneinschläge zu entdecken.
Diese sind besonders tückisch, da einerseits die naturgegebene schnelle Blutgerinnung der Vögel (erforderlich, da sie über nur wenig Blut, dafür einen schnellen Puls verfügen) eine gute Heilung vortäuscht und sie andererseits unerwartet tief in den Körper hineinragen und lebenswichtige Organe anreißen können. In jedem Fall können aber aggressive Keime eindringen. Ist dabei z.B. die Lunge oder ein Luftsack betroffen, gibt es kaum eine Chance auf Rettung.

WILD- UND HAUSTIERE

Knochenverletzungen im Bereich des Brustkorbes treten vor allem nach Aufprallunfällen auf. Sie können äußerlich völlig asymptomatisch erscheinen, außer wenn das Tier nicht mehr auffliegt oder gar apathisch am Boden sitzt. Vom Worst Case, einer Wirbelsäulenverletzung, einmal abgesehen, können trotz limitierter medizinischer Hilfestellungen erstaunliche Heilungen geschehen. Eine zeitige Diagnose ist hierbei essenziell, damit es nicht während des Hantierens mit dem Vogel und des Transportes zu weiteren Knochenverschiebungen kommt.
Auch wenn man den Unfall selbst nicht beobachtet hat, sollte man bei einem aus ungeklärter Ursache flugunfähigen Vogel stets auch an Brüche im Rumpfskelett denken und vorsichtig handeln.
Mindestens zweien meiner Fundtiere hat es wahrscheinlich das Leben gerettet, dass für den Erste-Hilfe-Transport nur ein Stoffbeutel zur Verfügung stand, der dem Vogel keinen Bewegungsspielraum ließ, anstatt einer Reisebox.

BRÜCHE ERKENNEN

Während ein praxiserfahrener Mensch Brüche und Gelenkverschiebungen an Flügeln und Beinen bereits ohne Zuhilfenahme bildgebender Verfahren ertasten kann, ist dies am Brustkorb meist nicht möglich.
Eine oder mehrere Röntgenaufnahmen geben hier Aufschluss über mögliche Knochenschäden, die leider weder operativ noch durch Bandagieren versorgt werden können.
Eine größtmögliche Ruhestellung für 1 – 2 Wochen stellt hier die einzige Option dar. Dies umzusetzen, gestaltet sich umso herausfordernder, je weniger zahm der Vogel ist.

Auf der Basis meiner persönlichen, zum Teil leidvollen Erfahrungen halte ich wenig von extrem bewegungseingeschränkter Zwangsimmobilisierung in zu engen Boxen, sofern diese länger als wenige Tage dauert. Je nach Vogelart und Individuum kann dies zu Immunschwäche und Schwermütigkeit bis hin zur Selbstaufgabe führen.
Gerade Wildvögel und wilde Heimvögel versuchen aufzustehen und sich zu drehen, wobei viel stärkere Zug- und Druckkräfte gegen die Knochen und Sehnen auftreten als bei der Versorgung in großzügiger gebauten Boxen oder (möglichst engmaschigen) Hamsterkäfigen o.Ä.
Mit etwas Glück halten die kleinen Patienten dann aus Instinkt oder aufgrund von Schmerzen sowieso hinreichend still, während die Knochen von selbst heilen – ein Wunder der Natur! So unbarmherzig das klingt: Da man ja kaum an die Vernunft der Rekonvaleszenten appellieren kann, verzichte ich bei solchen Fällen auf die Gabe von Schmerzmitteln, da gerade der Schmerz signalisiert, dass Ruhe angesagt ist. Aus gleichem Grund sollten insbesondere Wildvögel während dieser Phase zwar etwas von ihrer häuslichen Umgebung sehen, aber keinen länger andauernden Blick auf die Freiheit gewährt bekommen. Was normalerweise eine Motivation zum Durchhalten ist, stellt hier möglicherweise einen destruktiven Anlass zu heftigen Bewegungen dar.
Zur Veranschaulichung und zum Mutmachen drei kurze Fallgeschichten:

OSIRIS

Osiris wurde als Jungtier mit doppelter Klauenwunde im Rücken und komplett abgerissenem Schwanz auf dem Weihnachtsmarkt in Bad Kreuznach gefunden. Nach bangem Warten auf die ersten Blutkiele wuchsen die Federn binnen sechs Wochen nach. Da die Kruste auf den beiden „Löchern“ sich partout nicht lösen wollte, untersuchten wir sie vorsichtig – und entfernten einen 12mm tiefen doppelten Pfropfen aus verhärtetem Eiter. Osiris wurde noch während des Winters in die Freiheit entlassen.

  

MYSTIQUE II

Die junge Mystique II war gegen die spiegelnde Scheibe eines Augenoptikergeschäfts geflogen; Der Abdruck dort dokumentierte eine Brust-voraus-Kollision. Bei der Untersuchung des Kopfes spuckte sie Blut, tief aus dem Rachen heraus. Per Ferndiagnose der Taubenklinik Essen (da ein weiterer Transport nicht zu verantworten war) wurde ein Rippenbruch mit Einstich und drohendem Hineinrutschen in die Lunge angenommen und absolute Ruhigstellung angeordnet.
Da Ringeltauben im Gegensatz zu den sehr umgänglichen Stadttaubenabkömmlingen als die panischsten Wildvögel gelten, war dies schwierig zu bewerkstelligen. Mystique II bekam ein weich gepolstertes Kinderzelt mit reichhaltigem auf dem Boden verstreuten Futter und diskret vom Eingang her austauschbarer Wasserschale.
Auf das tägliche Entfernen von Kot wurde ausnahmsweise verzichtet, um jegliche Aufregung zu vermeiden, denn Ringeltauben können sich in Panik an Volierengittern totflattern oder an Herzversagen sterben.
Auch hier geschah ein kleines Wunder: Anders als manche Artgenossen verweigerte Mystique II nicht das Futter und machte es sich in ihren Fleecekissen bequem. „Pünktlich“ an Tag 10 begann sie, gegen die Zeltwand zu springen. Bei jedem anderen Vogel hätte ich zur Sicherheit noch ein paar Tage Pflege hinzugefügt, aber in diesem Fall wurde die tapfere Kleine noch am selben Vormittag in der Nähe eines Nadelbaumwäldchens ausgelassen – und flog mit kraftvoll klatschenden Flügeln, als sei nie etwas geschehen, davon.

OMIKRON

Im Oktober 2022 hatte der junge Erwachsene Omikron, bevor Hilfe eintraf, dem Hungerkot und der Dehydrierung nach zu urteilen, mindestens 20 Stunden im Gleisbett einer der am dichtesten befahrenen Strecken Deutschlands ausgeharrt, nur gehalten von einer aus der Wand ragenden Stahlschlinge, während alle paar Minuten zwei Handbreit neben ihm die Nahverkehrs-, Intercity- und Güterzüge vorbeidonnerten.
Die Untersuchung beim sehr kompetenten Vogeldoktor in der Taubenklinik inkl. Röntgenaufnahmen zeigte neben einer Flügelgelenkprellung links und inneren Quetschungen (Rachenabstrich blutig verfärbt) einen doppelten Schlüsselbeinbruch. Das Schlüsselbein verläuft bei Vögeln (anders als beim Menschen) wie eine einteilige Schlaufe gleich hinter dem Kropf und ist bei annähernd frontalem Aufprall der erste Knochen des Körperskeletts, der in Kontakt mit dem Hindernis gerät. So schlimm ein solcher Befund wirkt, stehen die Chancen auf vollständige Heilung besser als bei Rippenbrüchen.
Er war aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem Zug zusammengestoßen und zusätzlich seelisch traumatisiert, ansonsten kerngesund und mit gutem Appetit gesegnet.
Nach zehn Tagen Käfigruhe verliefen die ersten Flugversuche zunächst kläglich, aber die bewältigten Höhen und Distanzen steigerten sich mit etwas Training, zu dem der sanftmütige Patient allerdings angetrieben werden musste. Da er auch nach Wiederherstellung seiner Flugfähigkeit einen anormalen Mangel an Initiative, aber großes Interesse an Artgenossen bekundete, brachte ich ihn zu einer mir wohlbekannten Wildvogel- und Taubenstation nach Bayern, wo sich die ehemalige Grätschbein-Dame Hopie (siehe Mein Tierheilpraktiker 2/21) sofort in ihn verliebte.

 

FAZIT

Wir können die enormen Selbstheilungskräfte der Vögel durch ausgewogene artgerechte Ernährung inkl. Mineralfutter, Vitaminzusatz und Homöopathika sowie Geborgenheit vermittelndes Ambiente mit persönlicher Ansprache unterstützen.
Nach der Ruhezeit darf ggf. mit vorsichtiger Physiotherapie begonnen werden. Und wir können Menschen und Projekte unterstützen, die selbstlos jenen Tieren helfen, die ansonsten keinen sie liebevoll umsorgenden Menschen haben. Gerade in Zeiten materialistischer Panikschürerei, die Enge und Geiz bewirkt, ist das sehr wichtig.

In diesem Sinne biete ich auch Benefizlesungen und Infoveranstaltungen an, die zu 100 Prozent oben genannter Station oder ähnlichen Projekten zugutekommen.

FAJIRON SCHÄFER
VERHALTENSFORSCHERIN

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Forscht in den Bereichen Naturwissenschaft, Humanmedizin, Ornithologie und Religion, Tierschützerin, Buchautorin

KONTAKT
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Fotos: © Anitapol – Adobe, © F. Schäfer, © J. Ebbesmeier, © Taubenklinik Essen