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Serie: Wundversorgung beim Pferd - Wundheilung und phasengerechte Versorgung

Teil 3: Wundheilung und phasengerechte Versorgung

Das Pferd ist auch heute noch ein hochreaktives Fluchttier: Es verfügt über wache Sinne, gepaart mit schnellen Reaktionen. Für die Wundheilung kann dies allerdings nachteilig sein. Äußerlich verschließen sich kleine Wunden innerhalb von wenigen Stunden. Wurden sie zuvor nicht gereinigt, kommt es rasch zu einer Entzündung und/oder einer Infektion. Zudem ist die innere Reaktionsgeschwindigkeit des Immunsystems höher als bei anderen Tieren. Dies spiegelt sich in einer ebenso erhöhten Bereitschaft zur raschen Ausbreitung von Erregern und Infektionen wider. Störungen der Wundheilung treten beim Pferd vor allem zu Beginn der Verletzung schneller und stärker als beim Menschen oder bei anderen Tierarten auf. „Die Versorgung der akuten Wunde bei Pferden hat eine große Bedeutung. Wird sie sofort intensiv versorgt, ändert sich die Art und Weise, wie sie abheilt, enorm, und die Heilungsdauer kann deutlich reduziert werden“, so Prof. Dr. Derek Knottenbelt.

  
VERLETZUNG AM RÖHRBEIN BEI EINEM 14-JÄHRIGEN DRESSURPFERD, VOM TIERBESITZER VERSORGT
Links: Phase 1 Reinigung – Tag 1: Bei der frischen Wunde trat punktartig Blutplasma (klare Flüssigkeit) aus.
Versorgung Tag 1: 2 x gereinigt und mit Hydro-Gel bedeckt (Haut-Talent und Hydro-Gel von BÄRALIS).
Mitte: Phase 2 Granulation – Tag 2: Die Hautschicht granuliert gleichmäßig, die Wundränder ziehen sich zusammen.
Versorgung Tage 2 – 6: 1 x täglich gereinigt und mit Hydro-Gel bedeckt. Wunde weder berührt noch Salben, Alu- oder Blauspray aufgetragen.
Rechts: Phase 3 Regeneration – Tag 7: Haarwachstum gleichmäßig und in Fellfarbe.
Versorgung ab Tag 7: Der Körper übernimmt diesen Prozess allein. Wundruhe bewahrt. Keine weiteren Mittel aufgetragen.

Wichtig: Einst wurde die „Goldene Periode“, die Phase, in der die Bakterien zwar präsent, aber noch nicht replikativ und adhäsiv sind, als bedeutungsvoll für einen frühen Behandlungsbeginn herausgestellt. Heute kann durch frühestmögliche Versorgung in Kombination mit feuchter Wundversorgung und modernen Wirkstoffen die Wundheilung beim Pferd beschleunigt werden. Als „chronisch“ bezeichnet man Wunden beim Pferd, die länger als 8 Wochen andauern. Laut Prof. Knottenbelt, Spezialist für Innere Medizin an der Universität Liverpool, verheilen Wunden am Pferdebein langsamer als am Rumpf. 70 Prozent der sekundär heilenden Wunden an den Beinen zeigten Störungen bei der Wundheilung. Vor allem die sekundäre Wundheilung verläuft bei Großpferden langsamer als bei Ponys.

PRIMÄRE WUNDHEILUNG

Hier wachsen die Wundränder zeitnah und ohne Komplikationen unter Bildung einer schmalen Narbe zusammen. Das kann von allein geschehen oder durch den primären Wundverschluss des Tierarztes mittels Klammern, Naht oder Spezialverband. Für eine komplikationslose Heilung sollte die Erstversorgung innerhalb von 4 Stunden nach der Verletzung geschehen.

SEKUNDÄRE WUNDHEILUNG

Bei großflächigen und/oder klaffenden Wunden mit teilweise sehr großem Gewebeverlust verheilt die Wunde sekundär. Hier können die beschädigten und ggf. zerfetzten Wundränder nicht direkt wieder zusammenwachsen oder genäht werden. Das heißt, sie bleiben offen und werden nicht chirurgisch verschlossen, damit eine kontinuierliche Wundreinigung möglich ist und das Wundsekret ungestört abfließen kann. Vom Rand her bildet sich ein neues Kollagengerüst über der Wundfläche.

  
SCHEUERSTELLE VOM BAUCHGURT, VOM TIERBESITZER VERSORGT
Links: Tage 1 – 5: 2 x täglich gereinigt und mit Gel bedeckt (Haut-Talent und Hydro-Gel von BÄRALIS).
Mitte: Tag 6: Komplikationslose Hautregeneration der oberen Hautschichten. Weitere 7 Tage 1 x täglich gereinigt und mit Gel abgedeckt.
Rechts: Ab Tag 14 Wundruhe (keine weitere äußerliche Pflege). Nach 3 Wochen vollständig verheilt, ohne Narben oder weiße Haare.

WUNDHEILUNGSPHASEN

Die Wundheilung läuft in unterschiedlichen Phasen ab, die sich überlappen können. So ist z.B. die Reinigungsphase an den Wundrändern abgeschlossen, während im Wundbereich noch nässende Stellen sein können.

PHASE 1: REINIGUNGS- UND ENTZÜNDUNGSPHASE (EXUDATIONSPHASE)
In dieser Zeit blutet die Wunde oder sondert weißliches Wundsekret (Blutplasma) ab, um sie zu reinigen. Die Blutgerinnung wird aktiviert. Granulozyten bilden innerhalb weniger Stunden eine Art „Provisorium“, eine dünne, noch sehr verletzliche Hautschicht innerhalb der Goldenen Periode. Histamin löst eine physiologische Entzündungsreaktion aus, die bei unversorgten oder erst am 2.Tag versorgten Wunden stärker auftritt. Vermehrt kommen Spezialisten gegen Krankheitskeime wie Makrophagen ins Wundgebiet. Sie bauen zusätzlich Zelltrümmer ab.
Dauer: Wenige Stunden bis 2 Tage, bei eitrigen Wunden 3 – 7 Tage.
Störungen: Bei unzureichender oder verspäteter Reinigung verursachen unter der dünnen Schicht eingeschlossene Schmutzpartikel und Keime eine verstärkte Entzündungsreaktion, oder die Wunde infiziert sich. Schmerz, Schwellung, Wärme oder der gefürchtete Einschuss zeigen sich. Eine feste Kruste am 2.Tag ist ein Zeichen des Austrocknens und nicht der Heilung. Sind oberflächliche Verletzungen oder chirurgisch versorgte Wunden am 2.Tag nicht komplikationslos verschlossen, ist die Heilung bereits verzögert.

PHASE 2: GRANULATIONS- UND REPARATURPHASE (PROLIFERATIONSPHASE)
Sie beginnt nur dort, wo die Reinigungsphase abgeschlossen ist. Das dünne Kollagen-Gerüst wird zunächst immer mehr mit kleinsten Blutgefäßen durchzogen. Das Aussehen ist tiefrot und feuchtglänzend-durchsichtig (vor allem bei größeren Wunden). Myofibroblasten (spezielle Bindegewebszellen) granulieren vermehrt, das Gewebe auf der Wunde und die Wundränder beginnen sich zusammenzuziehen.
Dauer: 1 – 5 Tage nach Abschluss der Phase 1 – bei großen Wunden mehrere Wochen.
Störungen: Die erste und zweite Heilungsphase überlappen in der Wunde: Außen beginnt das Gewebe zu granulieren (weißer Rand), während im Zentrum die Wunde noch nässt oder eitert. Verletzungen der dünnen Hautschicht beim Verbandswechsel verzögern die Granulation. In Phase 2 kann sich wildes Fleisch bilden, wenn Erreger oder Fremdstoffe im Granulationsgewebe eingeschlossen sind oder eine übermäßige Wundversorgung durchgeführt wird, die permanent die Unterhaut reizt und dadurch eine Proliferation von Granulationsgewebe zwischen Unterhaut und Wundrändern zur Folge hat

PHASE 3: REGENERATIONS- UND REIFUNGSPHASE (EPITHELISIERUNGSPHASE)
Jetzt nimmt der Anteil an Gewebswasser und Gefäßen im granulierten Gewebe ab. Es vernetzen, stärken und stabilisieren sich die vorher angelegten Fasern, ihr Kollagenanteil nimmt weiter zu. Das Narbengewebe wird stabiler. Das Fellwachstum beginnt.
Dauer: 5 – 10 Tage nach Abschluss der Phase 2 – bei großen Wunden mehrere Wochen bis Monate.
Störungen: Nur auf gesundem Granulationsgewebe wächst das Fell in Fellfarbe und nicht in Weiß nach. Der Einsatz klassischer Produkte wie Blauspray kann die Ursache für kahle Stellen oder weißes Fell sein. Cremes und abdeckende Sprays können die Hautregeneration verlangsamen oder blockieren. Es bleiben kahle Stellen oder es entstehen geschwülstige Narben. Mangelnde Wundruhe kann erneut Entzündungsreaktionen auslösen, insbesondere wenn die Wundfläche nicht gleichmäßig granuliert.

HINWEIS
Bei der Wundheilung beim Pferd helfen die Zentripetalkräfte: Wundränder wollen sich von Natur aus zusammenziehen. So verheilt eine Wunde stets vom äußeren Rand zum Zentrum hin. Mit moderner Wundversorgung ist in feucht gehaltenen Wunden, z.B. mit Hydro-Gel, die Zellproliferation vermehrt und die Wundheilung beschleunigt.

  
INFIZIERTE WUNDE EINES 6-JÄHRIGEN NACHWUCHSSPRINGPFERDES, VOM TIERARZT VERSORGT
Links: Behandlungsbeginn – Handflächengroße infizierte Wunde unter nekrotischem Hautlappen nahe des Tuber coxae.
Heilungsphase 1 ist durch die Infektion bis in tiefe Schichten sowie die Präsenz nekrotischen Gewebes gestört.
Versorgung des Tierarztes: Chirurgisches Débridement (Haut-Talent und Hydro-Gel von BÄRALIS), nachts Verband mit Hydro-Gel, Bemer physikalische Gefäßtherapie und systemische Antibiose.
Mitte: Phase 2: 5 Tage nach Behandlungsbeginn stark reduzierte Wundinfektion. Die Wunde ist weniger tief, mit schützender Hautschicht überzogen und kaum noch schmerzhaft. Versorgung: 2 x täglich gereinigt und feucht gehalten, zusätzlich 3 x täglich Behandlung mit Bemer physikalische Gefäßtherapie. Nachts Verband mit Hydro-Gel, Antibiose weiter bis Tag 7.
Rechts: Phasen 2 + 3: 4 Wochen nach Behandlungsbeginn ist die Wundfläche deutlich kleiner. Wunde ohne Infektion. Weiter normaler Heilungsverlauf, ohne Bildung von wildem Fleisch. Versorgung: 2 x täglich gereinigt und feucht gehalten sowie Bemer physikalische Gefäßtherapie, keine weitere Antibiose notwendig.

PHASENGERECHTE VERSORGUNG

PHASE 1: EXUDATIONSPHASE
Kleine Wunden 1 – 3 Tage lang 2x täglich reinigen und mit einem Hydro-Gel für Pferde bedecken. Bei großen, komplizierten Wunden geschieht die Versorgung durch den Tierarzt. Individuelles Wundmanagement bei sekundär heilenden Wunden mit Tierarzt und/oder Wundtherapeut abstimmen. Moderne Mittel verwenden, die keine Fremdstoffe in frische Wunden einbringen. Gereinigte Haut und Wundränder mit Hydro-Gel pflegen und feucht halten. Wird die Wunde zu früh mit verklebenden oder cremehaltigen Substanzen versorgt, kann dies die Reinigungsphase blockieren und vermehrt Entzündungsreaktionen auslösen. „Farb- und aluminiumhaltigen Mitteln fehlt die für diese Phase entscheidende Reinigungsfunktion, was das Risiko einer Wundheilungsstörung erhöht“, so Prof. Knottenbelt.

PHASE 2: PROLIFERATIONSPHASE
Kleine Wunden 1 – 5 Tage lang nach der Exudationsphase 1x täglich reinigen und mit einem Hydro-Gel für Pferde bedecken. Große offene Wundflächen 2x täglich versorgen oder verbinden, um sie vor Schmutz zu schützen. Den Verband nach 1 – 3 Tagen wechseln. Eiter und nekrotisches Gewebe vom Tierarzt entfernen lassen. Wildes Fleisch chirurgisch entfernen oder mit Spezialauflagen versorgen.

PHASE 3: EPITHELISIERUNGSPHASE
Kleine Wunden: Bei normalem Narbengewebe und ungestörtem Fellwachstum Wundruhe einhalten. Der Körper übernimmt die Regeneration ohne zusätzliche Pflegemittel. Große Narbenflächen oder Störungen im Nabengewebe können mit Hydro-Gel gepflegt werden. Bei verfilztem Fasziengewebe (meist verdickt) um den Wundbereich herum kann ein Hydro-Gel einmassiert werden.

Im letzten Teil der Serie wird es u.a. um Homöopathie in der Wundversorgung gehen.

SUSAN BÄR
TIERHEILPRAKTIKERIN
PRODUKTENTWICKLERIN

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Moderne Wundversorgung, Stoffwechselkuren, Pferdeosteopathie, Faszientraining, Autorin

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Fotos: © S. Bär