Demenz beim Hund: Was wir tun können
Der Begriff „Demenz“ stammt aus der Humanmedizin und beschreibt ein Krankheitsbild, das mit vermehrter Vergesslichkeit einhergeht. Die Ursachen dafür sind vielfältig, sodass man verschiedene Klassifikationen und Unterbegrifflichkeiten eingeführt hat. Auch bei alten Hunden kann man häufig Verhaltensweisen erkennen, die auf eine Demenz schließen lassen. Allerdings ist die Diagnosestellung beim Menschen an verschiedene Kriterien geknüpft, die in der internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) eindeutig festgelegt sind. Diese schließen z. B. Urteilsvermögen, Aufnahme, Speichern und Wiedergabe neuer Informationen mit ein, also Kriterien, die beim Hund so nicht durchführbar sind. Deshalb darf oder sollte der Begriff „Demenz“ in der Veterinärmedizin so nicht verwendet werden.
Dem Krankheitsbild des Menschen ähnlich
Die „Krankheit des Vergessens“ kommt bei uns Tierheilpraktikern immer häufiger in der Praxis vor, sodass das Wissen darüber auch für uns immer wichtiger wird. Früher wurden betroffene Menschen einfach als „tüdelig“ bezeichnet, heute als „dement“. „Tüdelig“ verhalten sich auch unsere Hunde, sodass sich in manchen Dingen ein ähnliches Bild wie beim Menschen zeigt.
Erforscht ist das Krankheitsbild beim Hund bislang nur vage, sodass sich keine detaillierten Aussagen zu Entstehung und Verlauf der Krankheit machen lassen. Leidet ein Hund im Alter z. B. an einer Erkrankung, die operativ versorgt werden muss, kann die Narkose ausreichen, um eine Demenz auszulösen, die sich dann immer mehr verschlechtert.
IN MEINER PRAXIS KONNTE ICH FOLGENDE URSACHEN FÜR EINE DEMENZIELLE ENTWICKLUNG BEIM HUND FESTSTELLEN:
- Epilepsie
- Hirntumore
- Jede Art von Hirnschädigung
- Geriatrisches Vestibulärsyndrom
- Allgemeines geriatrisches Syndrom
- Narkosen
Da Demenz offiziell als Krankheit beim Hund (noch) nicht anerkannt ist, schließt die Diagnostik lediglich Symptome ein, die dem aufmerksamen Halter aufgefallen sind.
Meiner Erfahrung nach liegt die durchschnittliche Lebenserwartung für einen Hund mit derartigen Symptomen bei etwa einem Jahr nach Symptomfeststellung.
Welche Veränderungen treten mit dem Alter und der Demenz auf und wie können wir damit umgehen?
HIER EINIGE BEISPIELE FÜR DIE TYPISCHEN ANZEICHEN EINER DEMENZ:
- Der Hund steht nach dem Essen steif und angewurzelt am Napf, ist leicht nach vorne gebeugt, blickt nach vorne und muss vom Besitzer „geweckt“ werden. Von selbst passiert nichts.
- Auch scheint es, als sehe der Hund Geister und bemerkt etwas, was nicht da ist. Er sieht sich um, bellt oder wedelt unvermittelt.
- Der Hund steht im Zimmer und blickt sich um, als wenn er nicht mehr weiß, wo er ist und wer er ist.
- Der Hund hat ständig Hunger, als wenn er nicht mehr wüsste, dass er gerade gegessen hat.
- Der Hund döst, schläft aber nicht ein, ähnlich einem Wachkoma-Zustand.
- Der Hund ist total auf seinen Halter fixiert. Er verfolgt ihn den ganzen Tag quer durch die Wohnung und fängt zu bellen an, wenn er das Haus verlässt.
Ein „Helfer-Syndrom“ sollte der Mensch auf jeden Fall mitbringen – und unendliche Liebe zum Tier natürlich auch. Es wird anstrengend und bedarf ein gewisses Maß an Aufopferung, aber wenn man sich dafür entscheidet, den Hund zu unterstützen, bekommt man sehr viel Liebe zurück.
Wie bei Menschen mit Demenz kann man auch beim Hund beobachten, dass die Gefühle in dieser Situation eine noch viel größere Rolle spielen als zuvor und sogar vertieft werden.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir einen aktiven, aber tüdeligen Hund vor uns haben, der vom Körper her oft sehr alt, vom Wesen her aber wie ein Welpe ist. Ähnlich ist das bei betroffenen Menschen, die wieder „zum Kind werden“.
Draußen rennen diese Hunde oft wild herum und es gibt zwischendurch vom Kopf her Lichtblicke – ein Verhalten, das der Demenz beim Menschen sehr ähnlich ist. Oft wissen die Hunde nicht mehr, dass sie schon Gassi waren, sodass es schon mal sein kann, dass man alle zwei Stunden oder noch öfter raus muss.
Vorsicht ist geboten, wenn der Hund plötzlich nicht frisst, denn das liegt nicht daran, dass er nicht mehr leben will, wie das oft fälschlicherweise interpretiert wird, sondern daran, dass sich der Hund nicht mehr daran erinnert, wo sein Napf steht. Stellt man ihm dann einen Napf mit Futter vor die Nase, frisst er wie ausgehungert.
Trennungsangst und Kontrollverlust
Alleine lassen sollte man Hunde mit demenziellen Anzeichen nicht, weil sie sonst ganz starke Verlustängste durchleiden. Das gilt auch für Hunde, bei denen das vorher so nicht auftrat. Oftmals zucken betroffene Hunde auch zurück, wenn man sie anfasst, sodass man sich fragt, ob einen der eigene Hund nicht mehr erkennt oder das Vertrauen verloren hat.
Welpen wachen morgens auf und müssen sofort raus, der alte Hund auch. Meist wird dann aber nur die Notdurft verrichtet, denn am Schnüffeln oder an Sozialkontakten besteht kein Interesse mehr.
Wie bei betroffenen Menschen kann es auch bei Hunden krankheitsbedingt zur Inkontinenz (Urin oder Kot) kommen. Gerade das ist für die meisten Besitzer eine schwierige Situation, doch man kann auch Hunden ein Höschen mit einer Windel anziehen, um die Probleme einzugrenzen. Hundebesitzer, die bereits einen alten, dementen Menschen gepflegt haben, kommen mit demenzkranken Hunden gut klar, da die Verhältnisse ähnlich sind. Aber auch Besitzer, die keine Erfahrung damit haben, können sich mit der Situation engagieren, wenn sie diese akzeptieren und den Hund unterstützen.
Hunde sind Gewohnheitstiere, daher sollte man so wenig wie möglich an ihrem Leben ändern. Lassen Sie alle Abläufe so, wie sie immer waren, und passen Sie nur das an den Hund an, was ihm jetzt das Leben erleichert. Stabilität ist gerade jetzt wichtig. Diese gibt dem alten Hund Sicherheit.
Kontrollverlust – ein typisches Phänomen bei Demenz
Kontrollverlust führt zu Panik. Das „Am-Rockzipfel-hängen“ nimmt immer mehr zu und der Hund läuft ständig hinter einem her, z. B. weil er fressen möchte. Alte Hunde machen eher anders auf sich aufmerksam: So kann z. B. „Ich muss mal raus“ durch Hecheln ausgedrückt werden. Was der Hund einem mit seinem Verhalten sagen will, muss man jedesmal individuell herausfinden. Daher ist es hilfreich, den Hund genau zu beobachten und auf die kleinsten Anzeichen zu achten.
Immer unter Aufsicht
Auf betroffene Hunde muss man rund um die Uhr aufpassen, weil sie ansonsten durchaus mal gegen die Wand laufen oder unter Verlustängsten leiden. Auch kann man diese Hunde nicht mehr alleine in den Garten lassen, da dort zu viele Gefahren lauern. Meist denkt man nicht daran, aber sogar Steine werden jetzt zu Stolperfallen, oder der Hund gerät in Panik, weil er seinen Besitzer nicht mehr sieht.
Steht der Hund nach dem Gassigehen vor der falschen Wohnungstür, kann dies als deutlichster Verdacht auf Demenz eingestuft werden. Alle Veränderungen werden mit der Zeit ausgeprägter, denn die Erkrankung schreitet kontinuierlich fort. Die Beine werden schwächer, das Treppensteigen fällt schwerer und die Hunde fallen öfter hin.
Auch neurologischmotorisch treten Veränderungen auf
Die Vorderpfoten stehen enger zusammen, sodass der Hund vorne „windschief“ und der Schritt nach rechts und links wankend wirkt.
FAKTOREN, DIE DAS AUFTRETEN VON DEMENZ BEEINFLUSSEN KÖNNEN:
- Stress (positiver wie negativer)
- Medikamente
- Umweltgifte
- Gene
Wenn Sie also die eine oder andere Veränderung an Ihrem Hund festgestellt haben, verzweifeln Sie nicht. Denken Sie einfach daran, wieviel Engagement sie aufgebracht haben, als er noch ein Welpe war und tun es dieser Zeit gleich.
BUCHTIPP:
Alter Hund – Der richtige Umgang
mit Hundesenioren von Tina Ehmke,
Oertel+Spörer Verlag,
ISBN 978-3886278725
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